FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2024
Andreas Walter erforscht an der Justus-Liebig-Universität Gießen , welche Faktoren eine Finanzberatung effektiv machen. Welche Rolle eine Ähnlichkeit zwischen Kunde und Berater dabei spielt und wie sie sich nutzen lässt, erklärt er im Interview. A ndreas Walter ist seit 2009 Professor für Finanzdienstleistungen an der Justus-Liebig-Universität Gießen. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter ande- rem mit dem Entscheidungsverhalten von Privatinvestoren. Bei einem Treffen an sei- nem Lehrstuhl hat er FONDS professio- nell erklärt,welche Rolle Emotionen in der Finanzberatung spielen – und wie Berater sie sich zunutze machen können. Herr Professor Walter, Ihr Spezialgebiet ist die Verhaltensökonomie mit dem Zweig Behavioral Finance. Können Sie bitte kurz erläutern, auf welche Bereiche und Themen sich die Behavioral Finance erstreckt? Andreas Walter: Behavioral Finance ist ein Forschungsgebiet, das vom Postulat des Homo oeconomicus abweicht und sich mit der psychologischen Beeinflussung von Finanzentscheidungen und -märkten be- fasst. Wir hatten über Dekaden hinweg in unseren Modellen dieses irreale Menschen- bild von einem perfekt rationalen Akteur, der enorm klug und ganz emotionslos immer die richtigen Anlageentscheidun- gen trifft. Die Behavioral Finance geht nicht von diesem Bild aus. Wir untersu- chen daher, wie psychologische Einflüsse und kognitive Verzerrungen das Verhalten von Investoren und die Entwicklungen der Kapitalmärkte prägen. Können Sie einige konkrete Forschungs- felder nennen? Zum einen untersuchen wir, welche syste- matischen Anlagefehler Privatinvestoren begehen. Wir betrachten dieses Thema zunächst einmal auf Ebene des einzelnen Anlegers und schauen uns auch an, wie Finanzberatung zu den typischen Fehlern beitragen kann. Das zweite große Gebiet, auf dem wir forschen, ist die Wirkung fehlerhafter Anlageentscheidungen auf die Kapitalmärkte. Unser Hauptthema ist hier die Frage, inwieweit die Märkte effizient sein können, wenn Investoren irrational handeln. Ein weiterer wichtiger Aspekt, dem wir uns widmen, ist die sogenannte Behavioral Corporate Finance. Auf diesem Gebiet betrachten wir Anlageentscheidun- gen auf Unternehmensebene. Der kürzlich verstorbene Ökonom Daniel Kahneman hat die These aufgestellt, dass Menschen zu 95 Prozent von Intuition und Instinkten geleitet sind. Wenn das so ist, sind rationale Anlageentscheidungen dann überhaupt möglich? Kahneman, der die Behavioral Finance mit- begründet hat, spricht von zwei Systemen, in denenMenschen unterwegs sind. System eins ist sozusagen der intuitive und instink- tive Modus, der eingeschaltet ist, wenn wir mit ganz alltäglichen Dingen beschäftigt sind. Wenn wir etwa ohne Stau oder sons- tigen Stress Auto fahren, müssen wir uns kognitiv nicht besonders anstrengen. Das System eins ist zu 95 Prozent der Zeit aktiv. Rasen wir nun aber auf ein Stauende zu, dann gilt unsere ganze Konzentration der Vermeidung eines Unfalls. In diesem Moment schaltet sich das rationale System zwei ein. Nun müssen wir uns fragen, in welchem System Menschen laufen, wenn sie Anlageentscheidungen treffen. „In der Finanzberatung menschelt es kräftig“ » Für eine Studie haben wir die Protokolle von 3.500 Beratungs- gesprächen analysiert. « Andreas Walter, Universität Gießen VERTRIEB & PRAXIS Andreas Walter | Universität Gießen 218 fondsprofessionell.at 3/2024
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