FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2023
Mairead McGuinness | EU-Finanzkommissarin „Es braucht neue Vertriebsmodelle “ Die EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness über das geplante partielle Provisionsverbot und seine Auswirkungen auf den Finanzvertrieb in der Europäischen Union. M airead McGuinness erläutert im Inter- view mit FONDS professio- nell, was die geplante Klein- anlegerstrategie für die Fi- nanzbranche bedeutet. Frau McGuinness, bevor Sie den Entwurf für die Kleinan- legerstrategie präsentierten, fürchtete die Finanzbranche, die Kommission werde ein generelles Provisionsverbot in der Anlageberatung einführen.War ein solches Verbot tasächlich geplant? Mairead McGuinness: Ja, während der Vor- bereitungsarbeiten für die Retail Invest- ment Strategy hat die Kommission um- fangreiche Erkenntnisse über die Funk- tionsweise des Marktes für Kleinanleger gewonnen. Diese weisen unter anderem auf Mängel in der Konzeption und im Vertrieb von Anlageprodukten hin, die mit Provisionen belastet sind. Diese Zuwendungen wurden als eine Ursache erheblicher Nachteile für die Verbraucher identi ziert. Ein Provisionsverbot haben wir als wirksames Mittel zur Lösung von Interessenkon ikten bewertet. Nachdem wir alle Seiten der sehr kontrovers geführ- ten Debatte gehört hatten, haben wir uns gegen ein generelles Verbot von Zuwen- dungen entschieden. Aus welchem Grund? Wir sind zu der Ansicht gelangt, dass ein Verbot in der unabhängigen Anlagebera- tung aktuell zu disruptiv wirken könnte. Statt Provisionen gänzlich zu untersagen, haben wir einen zweistu gen Ansatz vorgeschlagen, um den er- heblichen Nachteilen für die Verbraucher entgegenzu- wirken, die unsere Untersu- chungen eindeutig belegen. Der aktuelle Entwurf sieht ein Provisionsverbot für die Anlagevermittlung und für die reine Orderausführung vor. Würde dies auch für Geschäfte aus der Vergangenheit gelten? Ein partielles Verbot wird Auswirkungen auf bestehende Geschäftsmodelle haben, die auf Provisionen beruhen. Es wird einen Übergang zu neuen Modellen er- fordern, bei denen den Anlegern Gebüh- ren für die erbrachten Dienstleistungen in Rechnung gestellt werden. Wir glau- ben, dass die Branche solche Modelle für Kleinanleger erfolgreich entwickeln kann. Die Firmen müssen das Teilverbot auch nicht vom ersten Tag an anwenden. Nach unserem Vorschlag hätten die Mit- gliedsstaaten nach dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften zwölf Monate Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Den Unternehmen blieben weitere sechs Monate, bevor die Vorgaben anzuwen- den sind. In dieser Zeit könnten sie ihre Geschäftsmodelle anpassen und ihren Kunden die Änderungen erklären. Wenn das partielle Verbot auch für in der Vergangenheit getätigte Geschäfte gelten sollte, dann müssten Fondsgesellschaf- ten feststellen, welche Berater welche Fondsanteile lediglich vermittelt und welche sie im Rahmen einer Beratung vertrieben haben. Wie soll diese Unter- scheidung funktionieren? Da der Begri der Beratung in den ein- schlägigen sektoralen Rechtsvorschriften bereits eindeutig als persönliche Empfeh- lung an Kleinanleger de niert ist, werden die Berater anhand ihrer Aufzeichnungen feststellen können, welche Geschäfte auf- grund einer Beratung getätigt wurden. In der Finanzbranche sowie imEU-Parla- ment wird der Entwurf in Teilen kritisiert. Ist noch mit Änderungen zu rechnen? Der Entwurf liegt dem Europäischen Par- lament und dem Rat derzeit zur Ände- rung vor.Die Kommission steht während der Verhandlungen in engem Kontakt mit den Mitgesetzgebern. Unsere Maß- nahmen sind so konzipiert, dass sie für die Marktteilnehmer verhältnismäßig sind. Der europäische Markt für Kleinan- leger schöpft eindeutig nicht sein volles Potenzial aus, und die Menschen machen auf den Kapitalmärkten nicht das Beste aus ihrem hart verdienten Geld. Der Finanzsektor hat es in der Hand, positive Maßnahmen zu ergreifen und die Situa- tion zum Besseren zu wenden. Vielen Dank für das Gespräch. ANDREA MARTENS FP Mairead McGuinness: „Der Finanzsektor hat es in der Hand.“ Online weiterlesen: QR-Code scannen oder fponline.at/EU423 eingeben. STEUER & RECHT Kleinanlegerstrategie 250 fondsprofessionell.at 4/2023 FOTO: © CLAUDIO CENTONZE | EU-KOMMISSION
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