FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2023
W enn man auf dem Videoportal Youtube die Suchanfrage „inverted yield curve“ eingibt, erhält man eine Flut von Berichten mit Titeln wie „Game over“, „No escaping a hard lan- ding“oder „Bond market is screaming that reces- sion is coming“. Es hat sich offenbar schon in der Breite herumgesprochen, dass sich eine Zinsstruk- turkurve, die am kurzen Laufzeitende höhere Renditen aufweist als bei länger laufenden Staats- schulden, nicht eben als positives Signal für die kommende Konjunkturentwicklung darstellt. In den letzten Jahrzehnten kündigte eine solche Konstellation in der Mehrzahl der Fälle einen wirtschaftlichen Einbruch an, sie ist also grundsätzlich ernst zu nehmen.Man könn- te aus der Historie aber noch eine zweite Weisheit ableiten: Wenn so viele Marktbeobachter unisono scheinbar rechtzeitig „Alarm“ schreien, ist das eher ein Grund, sich zurückzulehnen, denn so weit wir uns erinnern können, wurden die wirklich schlimmen Kata- strophen noch nie beziehungsweise von nur ganz wenigen Kom- mentatoren „rechtzeitig“ angekündigt. Wovor man sich aber in jedem Fall hüten sollte, das sind allzu schnelle Schlussfolgerungen. Ja, es ist richtig, inverse Zinsstruktur- kurven kündigen mit einiger Zuverlässigkeit Rezessionen an, aber was schließen wir daraus? Langjährig engagierten Fondssparern muss beim Kauf des ersten Fondsanteils ja stets klar sein, dass sie garantiert mehrere wirtschaftliche Talfahrten mitmachen werden. Der Blog „Disciplined Systematic Global Macro Views“ von Mark Rzepczynski hat Anfang September die aktuellsten Analysen zusammengetragen, die untersucht haben, wie sich Aktien in den Zeiträumen rund um die Zinsanomalie verhalten. Der Erkenntnis- gewinn ist eher bescheiden. So fand man etwa heraus, dass Aktien kleiner und mittelgroßer Unternehmen schlech- ter abschneiden als Large-Cap-Aktien, der Unter- schied war jedoch statistisch nicht signifikant.Die Investmentgesellschaft Dimensional ermittelte demnach in einer globalen Analyse, dass die Aktienrenditen in zehn von 14 Fällen nach 36 Monaten wieder positiv waren. Dabei wird betont, dass dies für jeden beliebigen Dreijahres- zeitraum gilt, denn Aktienkurse können ja auch fallen, wenn keine inverse Zinsstruktur vorliegt. Ähnlich unspektakulär fielen Untersuchungs- ergebnisse aus, zu denen der US-Fondsanbieter Putnam gelangte. Die Amerikaner befassen sich mit kürzeren Zeit- horizonten, und selbst da fanden sie mehrheitlich keine beunruhi- genden Daten.Was Aktien betrifft, kann man sagen: Eine Umkeh- rung der Zinsstruktur lässt keine klaren Schlüsse zu, sie können drei Jahre danach deutlich höher stehen, wie dies etwa 1989 der Fall war, sie können sich aber auch immer noch tief unter Wasser befinden (nach dem Jahr 2000) – in solchen Fällen hilft nur Geduld. Was Anleihen betrifft, entwickeln sie sich in einem sol- chen Umfeld tendenziell gut. Conclusio: Wer in ein gut diversifi- ziertes Portfolio beziehungsweise einen entsprechenden vermö- gensverwaltenden Fonds investiert hat, kann sich die erwähnten Youtube-Filmchen entspannt ansehen. Die Welt wird auch diesmal – höchstwahrscheinlich – nicht untergehen. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi Angekündigte Katastrophe Panik verbreitende Berichte über eine „beispiellos invertierte Zinsstrukturkurve“ sollte man nicht zu ernst nehmen. MEINUNG Brief der Herausgeber 4 fondsprofessionell.at 3/2023 FOTO: © MARLENE FRÖHLICH | LUXUNDLUMEN
RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=