FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2023

schaft prüft, ob die Schwelle wirklich erreicht ist, dürften die Betroffenen keine Anteile verkaufen, um die Fünf-Prozent- Marke nicht zu gefährden. Im Fall großer Unternehmen müssten dann über Wo- chen Tausende Kleinaktionäre „stillhalten“. Viel Widerstand, viele Probleme Die Opposition war gegen das Gesetz. Auch im Begutachtungsprozess gab es ver- glichen mit anderen Legislativvorhaben sehr viele negative Stellungnahmen, die auf der Parlaments-Homepage nachzulesen sind. Privataktionäre beklagen darin ihre Erfahrungen mit Online-HVs: Eingebrach- te Fragen werden oft aus dem Zusammen- hang gerissen oder nur mangelhaft beant- wortet; spontane Nachfragen sind nicht möglich; die so wichtige Absprache mit anderen Aktionären an Ort und Stelle fällt weg, und sehr häufig sind virtuelle HVs von technischen Problemen überschattet. Erst im Mai sorgte die deutsche Com- merzbank mit mehrfach abreißenden Re- debeiträgen auf der digitalen HV für Ent- rüstung unter Aktionären. Ebenfalls hefti- gen Unmut äußerten Redner auf der DWS-HV im Juni: Die DWS-Fondsma- nager würden virtuelle Aktionärstreffen ablehnen, während der Asset Manager selbst dieses Format wähle. Am Ende stimmten dennoch 98 Prozent einer Satzungsänderung zu, die der DWS künftig virtuelle Haupt- versammlungen ermöglicht: In Deutschland können Kleinaktio- näre nicht per Zusammenschluss eine physische HV durchsetzen; und den Großinvestoren ist die kommunikative Komponente der HV vergleichsweise egal, weil sie andere Möglichkeiten nutzen, um mit den Unternehmen in Kontakt zu treten. Von den 40 größten deutschen Börsenfirmen plant mehr als die Hälfte heuer eine rein digitale Hauptversammlung, hat die Presseagentur dpa ermittelt. Und das deutsche Aktionärsforum erhob, dass sich fast 90 Prozent der Konzerne aus Dax, M-Dax und Tec-Dax diese Möglich- keit durch eine Satzungsänderung bereits eingeräumt haben. Dass in Österreich Kleinaktionäre über- haupt eine Vor-Ort-HV verlangen können, sei zwar ein Gewinn, so Beckermann, in der Realität habe man davon aber wenig. „Der Anlegerschutz, den man vorgibt, ist eine wirkungslose Hülse“, sagt er. Justiz- ministerin Zadić antwortete nicht auf eine Anfrage. In einer der öffentlichen Stellungnah- men gegen das VirtGesG hob ein Aktionär die informellen Begegnungsmöglichkeiten mit dem Vorstand am Rande oder im Anschluss an die HV hervor. Gerade für junge Anleger wären solche persönlichen Gespräche wichtig, um Vertrauen in den Aktienmarkt zu fassen. Ebenso sehen das manche Unternehmen. Die rein virtuelle HV „entspricht nicht unserem Verständnis einer unmittelbaren persönlichen und transparenten Informationspolitik“, schreibt etwa die Agrana in ihrem Beitrag zur Ge- setzesbegutachtung. Bei der „onlineaffinen“ Bawag betont ein Sprecher, die nächste ordentliche Gesellschafterversammlung im Jahr 2024 werde nach fünf virtuellen HVs wieder im Präsenzmodus abgehalten. Rechtliche Fragen Dass digitale Events Tücken haben kön- nen, zeigt ein skurriler Vorfall beim Ar- beitsgericht Köln, über den „Die Zeit“ berichtet. Der Richter fällte nach einer Onlineverhandlung ein Urteil. Doch die Anwälte der Streitparteien sagten, es gab keine Verhandlung; sie hatten den Richter weder gehört noch ge- sehen, sondern sich nur unter- einander unterhalten. Auch IVA- Chef Beckermann betont, dass rein virtuelle HVs rechtliche Fragen auf- werfen. In Deutschland müssen bei rein virtuellen Events zumindest die Notare, die üblicherweise die Rich- tigkeit von HVs absegnen, mit dem Vorstand physisch vor Ort sein. In Österreich ist das offenbar nicht so. Die Notare sind virtuell zugeschaltet, sagt deren Kammer gegenüber der Redaktion. EDITH HUMENBERGER-LACKNER FP VirtGesG in Kürze Das Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz § Das Gesetz erlaubt eine rein virtuelle HV bei börsennotierten Publikumsgesellschaften. § Die rein virtuelle Option kann über eine Satzungsmehrheit (meist 75 Prozent) für fünf Jahre beschlossen werden. § Aktionäre können jedoch, wenn sie auf 5 % des Grund- kapitals kommen, eine physische HV erzwingen: § 5 (7) besagt: „ Wurde die ordentliche Hauptversammlung nach diesem Bundesgesetz virtuell durchgeführt, so können Aktionäre, deren Anteile zusammen fünf vom Hundert des Grundkapitals erreichen, bis zum Ende des Geschäftsjahres die Einberufung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung in einer Form verlangen, die eine physische Teilnahme der Aktio- näre ermöglicht.“ » Der Anlegerschutz, den man vorgibt, ist eine wirkungslose Hülse. « Florian Beckermann, IVA fondsprofessionell.at 3/2023 273 FOTO: © IVA

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