FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2023

Schwächung der Aktionäre In Österreich können Hauptversammlungen künftig rein virtuell abgehalten werden. Nicht nur Anleger sehen einen Niedergang der Aktionärskultur, auch Unternehmen zählen zu den Kritikern. D urchs Reden kommen die Leute zu- sammen. Diese geläufige Redewen- dung endet in der Praxis nicht selten bri- sant, denn wo direkt miteinander kom- muniziert wird, entsteht eine unplanbare Dynamik: Ein guter Redner braucht nicht viele Worte, um durch Mimik, Gestik und mit einer Portion Ironie eine Runde auf ein kontroverses Thema einzuschwören. Das kann selbst diskussionsgeschulten Profis wie den CEOs börsenotierter Unter- nehmen den Schweiß auf die Stirn treiben, wie man regelmäßig auf Hauptversamm- lungen (HVs) sieht – es wird fordernd, wenn sich einzelne Aktionäre im Saal bei kritischen Fragen verbünden. Manch einemUnternehmen ist es daher eindeutig lieber, diese unmittelbare Kulisse zu vermeiden. Ein Beleg dafür war die tur- bulente HV der Bawag im März. Obwohl die Pandemie vorüber ist, nutzte die Bank die verlängerten Corona-Ausnahmen und hielt das Treffen erneut rein online ab. Die Aktionäre waren nicht begeistert. Noch dazu schwänzte CEO Anas Abuzaakouk – einer der höchstbezahlten Bankchefs Euro- pas – bereits zum dritten Mal die Gesell- schafterversammlung und ersparte sich so die unangenehme Debatte über sein groß- zügiges Gehalt. Dass ein Vorsitzender auch bei einer Präsenz-HV mehrfach fehlt, sei schwer vorstellbar, sagt Florian Becker- mann, Präsident des Interessenverbands für Anleger (IVA). Die anderen Vorstandskol- legen würden ein Fernbleiben wohl kaum dulden, wenn sie bei einer Diskussion von Angesicht zu Angesicht allein den Kopf hinhalten müssen. Beckermann vertritt Kleinanleger bei Hauptversammlungen. Dass nun rein virtuelle HVs dauerhaft möglich werden, kritisiert er scharf und for- dert die Unternehmen auf, sich dagegenzu- stellen.Minderheitsanteile würden schlech- tergestellt, die Aktionärskultur in Öster- reich werde geschädigt, so Beckermann. Gesetz seit Juli in Kraft Seit Mitte Juli ist mit der Veröffentli- chung im Bundesgesetzblatt das Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz (Virt- GesG“) in Kraft. Seither gilt, dass in Öster- reich Hauptversammlungen nicht nur phy- sisch oder hybrid, sondern auch ausschließ- lich online stattfinden dürfen. Eine digitale HV kann per Satzungsmehrheit (75 Pro- zent) für fünf Jahre festgelegt werden. Aktionäre können, sofern sie auf fünf Pro- zent des Grundkapitals kommen, eine phy- sische Versammlung beantragen. Im heftig umstrittenen Ministerialvorschlag von Jus- tizministerin Alma Zadić (Grüne) waren zuerst sogar zehn Prozent vorgesehen. „Zehn Prozent waren surreal. Fünf Prozent bleiben für den Streubesitz absolut unrea- listisch“, kritisiert Beckermann. Denn selbst wenn man die fünf Prozent zusammen- bekommt, müssten sich die Antragsteller auf Hürden einstellen: Während die Gesell- » Fünf Prozent bleiben für den Streubesitz absolut unrealistisch. « Florian Beckermann, IVA Auf der Hauptversammlung haben Kleinanleger die Möglichkeit, direkt vom Vorstand Auskunft zu erhalten und sich bei kritischen Fragen mit anderen Aktionären zu verbünden. Ein neues Gesetz sorgt für Unmut. STEUER & RECHT Virtuelle Hauptversammlung 272 fondsprofessionell.at 3/2023 FOTO: © RRICE | STOCK.ADOBE.COM | GENERIERT MIT KI

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