FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2023

Und welche Entwicklungen sind imBereich des Versicherungsvertriebs aus Ihrer Sicht relevant? In den vergangenen drei Jahren sieht man massive Investments in den ungebundenen Vertrieb. In Vertriebsstrukturen und Mak- lerpools ist über Private Equity sehr viel Geld geflossen. Dies führt zu Konsolidie- rungen, aber auch Investments im IT- Bereich. Wir haben das anfangs in den Niederlanden wahrgenommen – und dann ist das schlagartig nach Deutschland gekommen. Dort wurden in letzter Zeit etliche bisher unabhängige Vertriebe, zum Beispiel Blaudirekt oder Fondsfinanz, von Investoren übernommen. In Österreich ist diese Entwicklung sicher weniger stark zu spüren als in Deutschland. Inwieweit wird die Digitalisierung langfristig den Vertrieb verändern? Gerade Vermittler hatten in der Vergangenheit auch immer wieder Angst, dass sie in Zukunft nicht mehr gebraucht werden, da der Kunde alles über IT-Lösungen abwickeln wird. Durch die jüngsten Entwicklungen im KI- Bereich wurden diese Ängste wieder ge- weckt. Wie schätzen Sie die Situation ein? Kurzfristig sehe ich überhaupt nicht, dass sich irgendjemand Sorgen machen muss. Derzeit besteht zum einen ein Mangel an Vertriebspersönlichkeiten in der Industrie und zum anderen wird der Beratungspro- zess zunehmend hybrider. Sieht man sich die Zahlen zu Onlineabschlüssen von Ver- sicherungsprodukten an, so zeigt sich – zumindest bei einem Blick auf die Zahlen des größten deutschen Onlinedirektver- triebs –, dass dieser zwar zirka 20 Prozent Marktanteil in der Kfz-Haft hat, es findet aber kein Wachstum mehr statt. Bei Le- bensversicherungen liegt der Marktanteil aktuell nur bei 1,7 Prozent, bei der BU sieht es ähnlich aus. Es gibt also ganz viele Produkte, bei denen der Direktabschluss überhaupt keine Rolle spielt. Trotzdem sehen wir aber auch, dass künstliche Intel- ligenz und Machine Learning immer mehr zum Thema werden. Dadurch wer- den aber eher weiße Flecken im Support- Bereich gefüllt. Ein Beispiel wäre hier etwa der Jahrescheck. Hier stellt sich für die Un- ternehmen die Frage: Wie schafft man es, bei einer Million Kunden zu kontrollieren, ob sich etwas Wesentliches verändert hat, auf das man vertraglich reagieren muss? Bei den Versicherungen sehen wir Einsatzmög- lichkeiten auch im Segment „Schaden“. In der Beratung glaube ich, dass der inter- essanteste Einsatzbereich in der Analyse der Kundendaten liegt, etwa die Analyse von Altverträgen. Der Berater wird künftig also eher mit Selfservice-Möglichkeiten unter- stützt, die entweder er selbst oder der Kunde initiiert. Und wenn ich die Service- Touch-Points erhöhe, führt das in Summe zu mehr Kundenkontakt und nicht zu weniger Beratung. Dass eine KI statt dem Berater über einen Bot mit dem Kunden » Derzeit besteht zum einen ein Mangel an Vertriebspersönlich- keiten in der Industrie und zum anderen wird der Beratungs- prozess zunehmend hybrider. « Ralf Widtmann, Riskine FOTO: © MARLENE FRÖHLICH | LUXUNDLUMEN fondsprofessionell.at 3/2023 157

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