FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2023
Zeiten wende Am Anleihenmarkt formt sich eine seltene Konstellation: Die inverse Zinskurve eröffnet ungewöhnliche Investmentchancen. Doch das Fenster, diese Formation zu nutzen, könnte sich schließen. D er 21. Juli 2022 markierte einen Um- bruch. An diesem Tag entschied die Europäische Zentralbank (EZB), erstmals seit elf Jahren die Leitzinsen für die Euro- zone anzuheben. Ein Jahr und fast zwei Monate später, am 14. September 2023, folgte womöglich die nächste Zäsur. Die Währungshüter beschlossen die zehnte Erhöhung der Leitsätze. Es ist gut möglich, dass dies der letzte Schritt im Zinszyklus war. Zumindest beendete die EZB eine Hängepartie für die Marktteilnehmer, die vor der Ratssitzung über den weiteren Kurs der Notenbank gerätselt hatten. Am Anleihenmarkt stehen damit mögli- cherweise erneut Verschiebungen an.Denn die zügig aufeinanderfolgenden, markan- ten Zinsschritte hatten im vergangenen Jahr die Renditen ansteigen und die Kurse einbrechen lassen. Es kam zu einem histo- rischen Bond-Crash. Zudem ist eine Ano- malie am Rentenmarkt aufgetreten: Die Zinsstrukturkurve hat eine deutlich inverse Form angenommen. Die Zinsen für län- gerfristige Kredite sind damit niedriger als für kurzfristige Ausleihungen. Die Aussicht auf wieder sinkende Leitsätze könnte ande- re Verhältnisse schaffen. Die außergewöhnliche Konstellation der Zinsstruktur beschert Renteninvestoren eine nahezu einmalige Gelegenheit: Das Risiko längerfristiger Darlehen wird schlechter vergütet als die kurzfristige Kre- ditvergabe. „Die inverse Zinskurve eröffnet lukrative Chancen“, sagt Axel Cabrol, Leiter des Anleihenbereichs bei der französischen Investmentboutique Tobam. „Die Zinskur- ve sagt uns, dass wir kein Durationsrisiko eingehen sollten“, ergänzt Cabrol und fol- gert: „Wir mögen das kurze Ende des Bondmarktes.“ Ganz ähnlich sieht das Marko Behring, Leiter Asset Management der Fürst Fugger Privatbank: „Angesichts des Zinsniveaus sollten Anleger die Gelegenheit am Ren- tenmarkt nutzen, bevor die Zentralbanken die Kehrtwende vollziehen und die Zinsen wieder senken.“ Je nach Laufzeit böten Unternehmen mit guten Bonitätsnoten Renditen von bis zu vier Prozent, und selbst bei deutschen Staatsanleihen seien drei Prozent und mehr möglich (siehe auch die Charts auf der folgenden Seite). Kurzläufer bevorzugt Behring mahnt zur Eile. Investoren soll- ten die aktuelle Situation nutzen, da sich das Zeitfenster in einigen Monaten schlie- ßen dürfte. „Die Anleger haben noch bis Jahresende Zeit, um am Rentenmarkt auf Trüffelsuche zu gehen“, drängt Behring. Danach könnte angesichts der sich zuse- hends eintrübenden Konjunkturlage die Diskussion um Leitzinssenkungen an Vehemenz gewinnen. Die Analysten des Blackrock Investment Institute ziehen sogar kurzlaufende US- » Anleger haben noch bis Jahresende Zeit, um am Rentenmarkt auf Trüffelsuche zu gehen. « Marko Behring, Fürst Fugger Privatbank In dichter Taktung und großen Schritten haben die Notenbanken die Zinsen angehoben. Nun könnte ent- weder ein Hochplateau erreicht sein – oder ein Abstieg anstehen. Diese Frage spaltet die Investmentwelt. MARKT & STRATEGIE Zinskurve 104 fondsprofessionell.at 3/2023 FOTO: © THE RUSSIAN NEGRESCO | STOCK.ADOBE.COM
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