FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2023

Prof. Dr. Clemens Fuest leitet seit 2016 das renommierte Münchner ifo Institut und gilt als einflussreichster Ökonom Deutschlands. Im Gespräch anlässlich seines Vortrags auf dem FONDS professionell KONGRESS inWien erläutert er die aktuellenWirtschaftsaussichten. N eben dem 250-köp gen Team des Münchner ifo Instituts leitet Clemens Fuest auch das Forschungsnetzwerk CESifo, in dem weltweit rund 1.800 Ökonomen kooperieren. Parallel dazu berät der Hoch- schullehrer auch Deutschlands Politik. Herr Professor Fuest, aktuell beschäftigen uns einerseits Energie- und Klimathematik, andererseits die Inflation sowie die Staats- verschuldung. Wie würden Sie diese Pro- blemkreise nach ihrer Dringlichkeit reihen? Kurzfristig ist die Sicherung der Gasver- sorgung für die Wirtschaftsentwicklung entscheidend. Daneben haben In ation und die Folgen für Geldpolitik und Zinsen Priorität. Staatsverschuldung und Klima- themen sind eher mittel- bis langfristige Probleme, aber für die Zukunft natürlich umso wichtiger. Sie haben sich schon im Vorjahr zu Wort gemeldet, weil für Sie die Reaktion der EZB zu spät erfolgte. Würden Sie sagen, dass die Notenbank diesbezüglich aufgeholt hat? Dass die EZB mit den Zinsanhebungen zu spät begonnen hat, hat zur Folge, dass sie nun immer noch etwas hinterherhinkt. Dennoch muss man sagen, dass die Zins- schritte mit historischer Geschwindigkeit erfolgt sind. Insofern hat die Notenbank das Steuer schon herumgerissen. Das heißt, alles läuft nach Plan? Wir müssen uns fragen, was es bedeutet, dass die EZB zu spät dran war und sich geirrt hat. Diese Erkenntnis ist ja auch für die EZB schmerzhaft. Hier gibt es nun durchaus die Gefahr, dass eine Neigung be- steht, zu viel zu machen. Wenn man sich einmal geirrt hat, möchte man nicht, dass sich das wiederholt. Wenn erneut der Ein- druck entstünde, dass die EZB darin ver- sagt, richtig auf die Lage zu reagieren, wür- de man ihr das wahrscheinlich nicht verzei- hen, es entstünde ein Reputationsschaden. Besteht die Gefahr einer Überreaktion? Noch sind wir davon weit entfernt, aber wenn man manche Äußerungen hört, wie weit man da gehen will, stellt sich die Frage, ob es nicht klüger wäre, diese Ent- scheidungen etwas datenabhängiger zu machen. Österreichs Notenbankchef hat aber bereits vier weitere Zinsschritte angekündigt. Ich will das nicht kritisieren, aber es kam doch etwas überraschend und ist wohl eher als Einschätzung der aktuellen Lage zu verstehen. Es kann schon sinnvoll sein, die heutigen Erwartungen zu äußern; als Notenbanker muss man aber auch sehen, dass das wahrgenommen wird. Und in dem Fall wäre es mit der Ankündigung, dass man datenabhängig vorgehen will, nicht vereinbar. Es besteht die Gefahr, dass man damit bei weiteren Entscheidungen nicht mehr ganz frei ist, weil man geneigt sein könnte, sich selbst recht zu geben. Hat die EZB so spät reagiert, weil sie fal- sche Messinstrumente einsetzt? Das kann man nicht sagen. Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, an dem so viele exzellente Ökonomen zusammensitzen und die Lage analysieren. Es war sicherlich eine Fehlentscheidung der Leitung. Man muss aber sagen, dass es 2021 durchaus gute Argumente dafür gab, davon auszuge- hen, dass der In ationsdruck nachlassen wird. Tatsächlich ging die In ationsdyna- mik in der zweiten Jahreshälfte zurück.Die Erwartung sah so aus, dass im Januar 2022 eine Entspannung eintreten würde. Pro- „Die Politik der EZB war zu expansiv “ FOTO: © MATTHIAS KATZMAIR MARKT & STRATEGIE Dr. Clemens Fuest | ifo Institut 106 fondsprofessionell.at 1/2023

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