FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2022

E iner der größten Fehler bei der Kapitalanla- ge ist die Konzentration auf die Entwick- lung in der Vergangenheit und hier vor allem die jüngere Vergangenheit, wenn es um die Einschät- zung der „Marktlage“ geht. Es ist den meisten Menschen unmöglich, sich von diesem kurz- fristigen Blick in den Rückspiegel zu lösen. Man unterstellt automatisch, dass Dinge, die gut funk- tioniert haben, weiterlaufen werden, und umge- kehrt. Dabei haben viele Analysen gezeigt, dass es klüger ist, auf Märkte zu setzen, die zuletzt eher schlecht gelaufen sind. Aber was heißt „schlecht gelaufen“? Die Aktienmärkte der Industriestaaten und hier insbe- sondere US-Technologiewerte, die seit Jahren die Schlagzeilen dominieren, haben einen „schönen“Absturz hinter sich und könn- ten als „günstig“wahrgenommen werden. Allerdings muss in einer solchen Betrachtung das langfristige Bild gesehen werden, und das sieht nicht einladend aus. Stellt man etwa den Kursen der S&P-500- Aktien ihre Umsätze gegenüber (Price-to-Sales Ratio), dann erreich- te dieses Verhältnis Anfang 2000 einen Höchstwert von etwa 2,3. Dieser Wert fiel bis zur Trendwende nach der Finanzkrise 2008 auf etwa 0,8. Zwischen Anfang 2009 und 2018 kletterte er dann wieder auf den alten Höchststand der Jahrtausendwende, um im Verlauf des Corona-Jahres 2020 durch die Decke zu schießen. Der Absturz 2022 brachte das Kurs-Umsatz-Verhältnis des S&P gerade einmal auf den „alten“ Höchstwert aus der Dotcom-Zeit zurück. Noch ungünstiger präsentiert sich der „Buffett-Indikator“, der einfach den Wert der US-Aktienmarktes, gemessen amWilshire 5000 Total Mar- kets Full Cap Index, der Wirtschaftsleistung des Landes gegenüber- stellt. Hier lag der Höchstwert ebenfalls lange Zeit am Ende der Technologiehausse im Jahr 2000. Diese Marke wurde aber schon nach rund 14 Jahren gerissen. Vor der Korrektur des laufenden Jahres lag der Maximalwert schon bei 2,5 (2000: 1,1). Und auch nach der jüngsten Korrektur ist er immer noch fast doppelt so hoch wie im Jahr 2000 – US-Aktien sind also auch heute nicht „billig“. Für die Bewertung, welche Märkte „günstig“ sind, liefert die US-Investment- gesellschaft GMO eine interessante Einschätzung. Das von Jeremy Grantham gegründete Value- Haus erstellt in regelmäßigen Abständen Progno- sen, die auf langjährigen Daten beruhen. GMO erwartete (Ende September) für US-Standardak- tien eine annualisierte 7-Jahres-Rendite von 0,8 Prozent, für Neben- werte lag die Schätzung bei einem Prozent. Für Nicht-US-Industrie- staaten lagen die Vergleichswerte bei 3,9 beziehungsweise 5,8 Pro- zent, für Schwellenländer bei 6,2 und für Value-Aktien in Emer- ging Markets bei 10,6 Prozent. Im Rentenbereich erwarten die GMO-Analysten nur bei Schwellenländerbonds bis 2029 real posi- tive Erträge. Solchen Prognosen darf und soll man nicht restlos vertrauen, sie geben nur an, was zu erwarten ist, wenn die Ver- gangenheit eine Richtschnur darstellt; kennen sollte man diese Daten aber schon.Wir würden uns darüber freuen, wenn Sie sich für den am 8. und 9.März in Wien stattfindenden FONDS profes- sionell KONGRESS anmelden. Bis dahin wünschen wir Ihnen ei- nen erfolgreichen und erholsamen Jahreswechsel. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi Was heißt billig? Wie „billig“ sind US- Aktien nach den Kurs- rückschlägen des lau- fenden Jahres wirklich? Jeremy Grantham und Warren Buffett liefern – ernüchternde – Antworten. MEINUNG Brief der Herausgeber 4 fondsprofessionell.at 4/2022 FOTO: © MARLENE FRÖHLICH | LUXUNDLUMEN

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