FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2022
Verena Ross steht seit einem Jahr an der Spitze der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. Im Interview berichtet sie, was sie sich vorgenommen hat – und warum ein generelles Provisionsverbot noch lange nicht vom Tisch ist. D ie Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde hat den Standort gewechselt – und sie hat eine neue Chefin. In der Rue de Bercy 201–203 im zwölften Pariser Arrondissement befin- det sich seit gut zwei Jahren der neue Sitz der ESMA. Seit einem Jahr steht die Deut- sche Verena Ross an ihrer Spitze. Sie folgte im November 2021 auf den ersten ESMA- Chef Steven Maijoor. FONDS professionell traf Verena Ross zumGespräch in der fran- zösischen Hauptstadt. Frau Ross, Sie sind seit einem Jahr Vorsit- zende der ESMA.Wenn Sie eine kurze Zwi- schenbilanz ziehen: Wie waren die ersten zwölf Monate in Ihrer neuen Position? Verena Ross: Das war eine aufregende Reise. Seit meinem Amtsantritt ist es bekanntlich zu einer Reihe von geopolitischen Entwick- lungen gekommen, die natürlich auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte ha- ben. Vor meinem Amtsantritt als Vorsitzen- de war ich schon über zehn Jahre Exekutiv- direktorin bei der ESMA.Daher kannte ich die Europäische Wertpapier- und Marktauf- sichtsbehörde natürlich bereits sehr gut und habe mich auch mit vielen wichtigen Themen befasst. Aber ich glaube, was in meinen ersten zwölf Monaten als Vorsit- zende der ESMA ganz besonders hilfreich war, ist die Tatsache, dass ich schon einige Finanzkrisen erlebt und somit bereits eine gewisse Erfahrung in der Bewältigung sol- cher Krisen habe. Unterscheidet sich Ihre Position als Chefin der ESMA deutlich von Ihrer bisherigen Tätigkeit als Exekutivdirektorin? Natürlich, denn wenn man demAusschuss der nationalen Aufsichtsbehörden der Euro- päischen Union, kurz EU, vorsteht, geht es auch darum, die ESMA auf europäischer und internationaler Ebene zu repräsentie- ren. Vor allem aber geht es darum, eine Strategie der ESMA für die kommenden Jahre festzulegen. Anfang Oktober haben Sie die Strategie der ESMA für die Jahre 2023 bis 2028 vor- gestellt, die fünf Kernziele formuliert. So haben Sie sich unter anderem vorgenom- men, die europäische Aufsicht zu stärken. Wie soll das gelingen? Derzeit ist die tägliche Markt- und Wert- papieraufsicht in erster Linie Angelegenheit der nationalen Behörden. Andererseits ist die ESMA auch selbst für die direkte Beauf- sichtigung bestimmter Akteure an den Finanzmärkten zuständig. Eine Stärkung der EU-weiten Aufsicht kann nur gelingen, wenn die ESMA und die nationalen Auf- sichtsbehörden stärker zusammenarbeiten. Wir müssen gemeinsame Aufsichtsziele definieren und koordinierte Maßnahmen ergreifen, um den Anlegerschutz zu verbes- sern sowie effektive Märkte und die Finanz- stabilität zu fördern. Das klingt ein wenig abstrakt. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Ja, als ESMA haben wir etwa erst kürzlich ein „Supervisory Briefing“ erarbeitet, ein Dokument, das den nationalen Aufsichts- behörden Hinweise zum Umgang mit der „Wir werden weiter über Provisionen diskutieren“ » Die ESMA und die nationalen Aufsichtsbe- hörden müssen stärker zusammenarbeiten. « Verena Ross, ESMA STEUER & RECHT Verena Ross | ESMA 264 fondsprofessionell.at 4/2022
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