FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2022
der österreichische Ökonom Manfred Frühwirth, der an der Wirtschaftsuniversität Wien lehrt. Er beschreibt folgendes Span- nungsfeld: Auf der einen Seite steht die Wissenschaft, die belegt, dass man mit Aktieninvestments langfristig gesehen hö- here Renditen erwarten kann als bei risiko- losen Anlagen (z.B. auf einem Sparbuch). Auch die Verlustrisiken sind hier am ge- ringsten, wenn man die realen Renditen hernimmt (also nach Abzug der Inflation). Analysen der vergangenen 200 Jahre zeigen etwa, dass bei einer Investitionsdauer von 20 oder 30 Jahren Aktien die einzige Kate- gorie sind, die selbst im schlimmsten Fall noch positive reale Renditen abliefert.Dem gegenüber stehen Anleger, die den Aktien- markt ausgerechnet aus Angst vor Verlus- ten meiden. Das „Aktienprämienrätsel“ Interessant ist in diesem Zusammen- hang das „Equity Premium Puzzle“, das Aktienprämienrätsel. 1985 zeigten die Finanzwissenschaftler Rajnish Mehra und Edward Prescott in einer Arbeit, dass man in der Regel mit Aktien eigentlich eine „viel zu hohe Rendite“ verdient. Gemeint ist der ungewöhnlich hohe Renditeabstand zu sicheren Anlagen (etwa Staatsanleihen): Aktieninvestoren erhalten mehr Risikozu- schlag, als durch das übliche Aktienrisiko oder durch die durchschnittliche Verlust- aversion der Anleger begründet werden könnte. Nach Ansicht der Wissenschaftler wären ein oder zwei Prozentpunkte Über- rendite zum risikolosen Zins angemessen. Tatsächlich aber könne man mit einer Risikoprämie zwischen fünf und acht Pro- zent jährlich rechnen (zumindest war das in den hundert, zweihundert Jahren bis zum Beginn der 2000er-Jahre so). „Dass die Aktienrenditen zu hoch sind, wissen im- mer noch die wenigsten Anleger. Zu sagen, ich gehe nicht in Aktien, weil das zu ge- fährlich ist, ist falsch“, so Frühwirth. Eine mögliche Erklärung, wie es zu die- sen hohen Risikoprämien kommt, bietet die „myopische Verlustaversion“ (kurzsich- tige Verlustabneigung): Anleger schauen gern auf die laufenden Kursbewegungen – und lassen sich dabei von den kurzfristigen Turbulenzen abschrecken, während sie die (empirisch belegten) langfristigen Chancen aus den Augen verlieren.Dahinter steht ein psychologisches Phänomen, das Anleger kennen sollten: Verluste schmerzen mehr, als man sich über Gewinne freut; und zwar um ungefähr das Zwei- oder Zweieinhalb- fache,wie die Wissenschaft herausgefunden hat. „Wer 100 Euro investiert und den Kurs auf 150 steigen sieht, freut sich darüber weniger, als er sich ärgern würde, wenn der Kurs von 100 auf 50 sinkt“, erklärt Früh- wirth. In der Auslegung von Nobelpreisträ- ger Richard Thaler und seinem Kollegen Shlomo Benartzi könnte das Aktienprä- mienrätsel so erklärt werden, dass der Markt mit sehr hohen Prämien locken muss, damit die Investoren (die kurzfristige Verluste überbewerten) überhaupt einstei- gen. „Das ist Geld, das man als rationaler, langfristig orientierter Anleger geschenkt bekommt“, so Frühwirth. Gegen den Impuls, ständig über Kurs- kapriolen nachzudenken, hilft, sich das Konzept der irrationalen Übertreibungen zu vergegenwärtigen, für das Robert Shiller denWirtschaftsnobelpreis bekam: Auf Aus- schläge nach oben oder unten folgt früher oder später eine gezielte Rückkehr zur Mit- te (Mean Reversion). Tatsächlich (um die kurzfristigen Übertreibungen bereinigt) stiegen in den vergangenen zwei Jahrhun- derten die Aktienkurse relativ stetig. Bör- senguru André Kostolany verglich das Ver- hältnis von Wirtschaft zu Börse einst mit einemMann und seinemHund beim Spa- ziergang. Beide gehen denselben Weg – der Mann kontinuierlich, während der Hund vor und zurück läuft. Wenn Anleger über erhöhte Risikozu- schläge (Equity Premium Puzzle) oder die historisch signifikant höheren Renditen (bei langfristiger Veranlagung) Bescheid wissen, könnte das den Schritt in Aktieninvestments erleichtern, so Frühwirth. Risikoaversion sei grundsätzlich nicht negativ, betont er. Der Fehler entstehe allerdings dort, wo Anleger einseitig auf Basis der Verlustangst agieren, während sie die empirischen Gewinnchan- cen nicht mitbedenken oder nur geringer gewichten. Man müsse sich bewusst ma- chen, dass kurzfristige Verluste am Aktien- markt fast unvermeidbar sind, so Frühwirth. Auch das zeigt der Blick auf die vergange- nen 200 Jahre: Wer mit einemZeithorizont von nur bis zu fünf Jahren in Aktien veran- lagte, hatte zwar enorme Renditechancen, konnte aber auch sehr hohe Verluste erlei- den. Fazit: Mit zweijährigem Horizont sind Aktien nicht das Beste, langfristig spricht die Statistik aber klar dafür.Oder wie Frühwirth sagt: „Pensionsvorsorge ist viel einfacher als kurzfristiges Spekulieren. Man muss beson- ders den jungen Leuten sagen, sie müssen heute anfangen.“ Sein Tipp für den langfris- tigen Erfolg: „Dauernd amHandy zu sitzen und dieWertentwicklung zu prüfen ist ganz schlecht.“ EDITH HUMENBERGER-LACKNER FP » Dass die Rendite am Aktienmarkt viel zu hoch ist, wissen die wenigsten. « Manfred Frühwirth, WU Wien VERTRIEB & PRAXIS IHS-Projekt 230 fondsprofessionell.at 4/2022 FOTO: © ERNST KAINERSTORFER
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