FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2022
Damit hätte man wahrscheinlich ein schär- feres Sanktionsschwert, als wenn wir sagen, wir stoppen sofort die Gasimporte.Mit an- deren Worten: Die Sanktionsmaßnahmen werden verschärft, und damit sind 1,8 Pro- zent BIP-Wachstum eher nicht haltbar. Wenn wir Gasimporte rasch stoppen, ge- hen wir in die Rezession – in welchem Ausmaß ist kaum vorhersagbar. Die vorlie- genden Schätzungen sind sehr umstritten. Einzelne Branchen, etwa die Glas- und Keramikindustrie, könnten einen soforti- gen Lieferstopp von Gas nicht verkraften. Würden Sie sagen, dass Deutschland – und damit indirekt auch Österreich – in West- europa von der aktuellen Problematik am stärksten betroffen ist? Ja, das hat vor allem damit zu tun, dass die industrielle Struktur bei uns intakt ist. Während in Großbritannien oder den USA der Anteil der Wirtschaftsleistung viel stärker vom Dienstleistungs- beziehungs- weise Finanzsektor abhängt, ist bei uns die Industrie dominant. Damit sind Deutsch- land und Staaten, mit denen wir viel Han- del treiben – das sind neben Österreich auch andere Länder der Eurozone wie etwa die Niederlande, aber zum Teil auch die Schweiz –, am stärksten betroffen. Die jüngste Energieproblematik ist ja nur der Höhepunkt einer seit Jahren laufenden Entwicklung. Gehen Sie davon aus, dass die aktuelle Lage den finalen Durchbruch des Strukturwandels im Bereich Energiepolitik bringen wird? Die deutsche und die österreichische Regierung wollten dies auf jeden Fall um- setzen – und zwar ohne Atom und Kohle. Das ist nicht so einfach. Die Entscheidun- gen zur Beschleunigung der Umstellung auf erneuerbare Energie sind aber getrof- fen, in Deutschland hat die Umweltminis- terin den Naturschutz gegenüber dem Kli- maschutz zurückgestellt. Und das bedeutet, dass der Ausbau erneuerbarer Energie im ganzen Land leichter möglich ist – das gilt für Windräder, die aufgestellt werden kön- nen, ebenso wie für Leitungen, die verlegt werden können. Das bedeutet trotzdem nicht, dass wir das in einem halben Jahr schaffen, denn die Genehmigungsverfah- ren benötigen dann nicht mehr zehn, son- dern vielleicht nur fünf Jahre. Es dauert also immer noch lang. Vor dem Hinter- grund des Ukrainekrieges stellt sich daher die Frage: Sollte man den Kohle- und Atomausstieg nicht etwas nach hinten schieben? Die Atomkraft liefert bisher zwölf Prozent des Stroms, das ist nicht viel, es ist aber schon signifikant und stabil, darum sollte man die noch laufenden Atomkraftwerke amNetz lassen.Wir reden hier nur über Strom, der ein Viertel der Energiebilanz Deutschlands ausmacht. Aber andere Energieträger wie grünen Wasserstoff werden wir noch lange nicht in dem Umfang haben, in dem wir ihn benötigen. Das heißt, wir sind weiterhin auf Gaslieferungen angewiesen, wo immer diese auch herkommen. Hatten Sie vor den jüngsten Ereignissen den Eindruck, dass die Energiewende, so wie sie geplant war, machbar ist? Ihr Kollege Hans-Werner Sinn hat dies ja wiederholt bezweifelt. Ich bin ein pragmatischerer Mensch als Herr Sinn, ich würde sagen, so wie das geplant ist, ist es ein gangbarer Weg. Er er- fordert allerdings enorme Anstrengungen und Investitionen,man kann nicht binnen zwei Jahren klimaneutral sein. Möglich wäre es doch nur gewesen, weil man bisher das russische Gas hatte. Wird es nicht unmöglich, wenn das ausfällt? Es wird schwieriger und teurer. Die Stra- tegie der Regierung sah ja vor, dass man im Übergang zum grünen Wasserstoff soge- » Die Strategie der Regierung sah ja vor, dass man im Übergang zum grünen Wasserstoff blauen Wasserstoff nimmt, und dazu benötigt man Gas. « Lars Feld, Universität Freiburg FOTO: © MARLENE FRÖHLICH | LUXUNDLUMEN 122 fondsprofessionell.at 2/2022 MARKT & STRATEGIE Lars Feld | Universität Freiburg
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