FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2021
behaupteten ESG-Aspekte erfüllen. Übrig bleiben Produkte ohne ausdrückliches Nachhaltigkeitslabel, die aber durchaus ebenfalls Ziele verfolgen können, die aus Anlegersicht positiv sind. Dies sorgte heuer bereits für Verunsicherung. Einige Anbieter waren der Meinung, dass Kunden, die ihr Geld ausdrücklich nachhaltig veranlagen wollen, dann nur noch Artikel-8- oder -9- Fonds bekommen dürfen. Das stimmt so allgemein nicht, sagen die Anwälte. Es werde primär darauf ankommen, was der Kunde unter Nachhaltigkeit versteht: Meint er lediglich den Klimawandel (wie die Taxonomieverordnung, die sich auf die Ökologie beschränkt), dann sei ein Pro- dukt falsch, das zwar nach Artikel 8 dekla- riert ist, aber nur auf soziale Aspekte abzielt, erklärt Zahradnik. Möglich ist auch, dass Kunden ein viel breiteres Verständnis von Nachhaltigkeit haben als Taxonomie- und Offenlegungsverordnung. Dann könne durchaus ein Fonds den Wünschen ent- sprechen, der weder unter Artikel 8 noch unter Artikel 9 eingestuft ist, so der Experte. Was wirklich gemeint ist Wie also in der Praxis vorgehen? „Wenn ein Kunde sagt, er möchte ein nachhaltiges Produkt, ist die erste Frage, was er damit meint“, so Richter-Schöller. „Keine triviale Angelegenheit“, wie Richter-Schöller an- merkt, denn: „Nicht einmal die Taxono- mieverordnung und die Offenlegungsver- ordnung sind sich beim Nachhaltigkeits- begriff einig“.Die Offenlegungsverordnung versteht Nachhaltigkeit umfassender, spricht Umwelt, Soziales und Unterneh- mensführung gleichermaßen an. Die Taxo- nomieverordnung hingegen meint vorerst nur die Umwelt. Eine Sozialtaxonomie ist erst in Ausarbeitung, und für Governance gibt es noch nicht einmal einen Entwurf. Bereits jetzt müssen Anlageberater Nach- haltigkeitsbedürfnisse berücksichtigen, wenn Kunden das wünschen. Ein erhöhtes Aufkommen ist ab 2. August 2022 zu er- warten. Dann nämlich ist in der Beratung die Abfrage der sogenannten Nachhaltig- keitspräferenzen zwingend. Das ist in dele- gierten Verordnungen festgeschrieben, die imApril 2021 veröffentlicht wurden. Sie er- weitern die Finanzmarktrichtlinie MiFID II und die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD. Konkret müssen Berater dann fragen, ob und welchen Mindestanteil ein Kunde nachhaltig veranlagen will. Was juristisch tatsächlich droht, wenn es hier zu Fehlern kommt, muss derzeit aus ähnlichen Rechtsfällen abgeleitet werden. Nach aktueller Kenntnis gab es noch kein Urteil, wo ein Kunde falsche Nachhaltig- keitsberatung geltend gemacht hat. In ers- ter Linie ist an Schadenersatzforderungen zu denken. Bei Beratungsfehlern seien aber auch die bisher bei Finanzprodukten weni- ger in Anspruch genommenen Instrumen- te einer Irrtumsanfechtung oder der Ge- währleistung denkbar (etwa: Wertpapiere, die ihr Versprechen nicht erfüllen, weil sie doch nicht nachhaltig sind). Schaden bereits bei Abschluss Ganz grundsätzlich kann man Beratern oder Vermittlern die Botschaft mitgeben, dass nach Ansicht österreichischer Gerichte ein Anlegerschaden früher eintritt, als man vermuten könnte. Erkannte die Judikatur einen Vermögensschaden früher erst dann, wenn realisierte Verluste vorlagen, setzte sich in den vergangenen Jahren die Ansicht durch, dass der Schaden bereits eintritt, wenn man ein Produkt bekommt, das man eigentlich nicht wollte (sogenannter Primärschaden). Umgemünzt auf die Ver- letzung der Aufklärungs- und Beratungs- pflicht zur Nachhaltigkeit heißt das: Ein Anleger, der das empfohlene Produkt nach- weislich nie erworben hätte, wenn er vor- schriftsmäßig beraten worden wäre, kann ein Recht auf Rückabwicklung haben. „Wenn ein Produkt nicht meinen Vorga- ben zur Nachhaltigkeit entsprochen hat, heißt das zwar nicht, dass ich dadurch einen finanziellen Verlust erleide. Umge- kehrt kann man es natürlich aber so sehen: Ich wollte meinen Zaun grün, und der hat ihn braun gestrichen“, bringt es Zahradnik auf den Punkt. Theoretisch verbirgt sich hier natürlich die Gefahr, dass Anleger es auf eine Speku- lation zu Ungunsten des Beraters anlegen: Sie könnten die Performance des Produkts bis zum Ende der Verjährungsfrist beob- achten und bei Kursverlusten schlussend- lich wegen fehlerhafter Beratung klagen, warnt Zahradnik. Ob jemand damit bei Gericht Gehör findet, steht auf einem anderen Blatt. Sollte es tatsächlich zu Schadenersatzklagen kom- men, müsse erst einmal die Kausalität be- legt werden, sagt Zahradnik. Also: Liegt die schlechte Performance wirklich daran, dass weniger nachhaltig veranlagt wurde, als der Kunde wollte? Es könnte im Individualfall schwierig werden, diesen Zusammenhang zu belegen. Außerdemwerden Kunden bei längeren Haltedauern Glaubwürdigkeits- probleme haben. „Wenn sich jemand drei Jahre lang über ein Produkt nicht be- » Nicht einmal die Taxo- nomie- und die Offen- legungsverordnung sind sich beim Nachhaltig- keitsbegriff einig. « Christian Richter-Schöller, Dorda fondsprofessionell.at 3/2021 251
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