FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2021

Erlös der jeweiligen Abhilfe dem Verbrau- cher unmittelbar zugutezukommen hat. Sogenannte punitive damages, das sind über den erlittenen Schaden hinausgehen- de Strafschadenersatzansprüche, sind im Gegensatz zu den amerikanischen action classes nicht vorgesehen. Die EU-Sammelklage ist anzuwenden, wenn ein Unternehmen gegen einen Rechtsakt der Union verstößt, wodurch mehrere Verbraucher geschädigt werden. Vorausgesetzt, der entsprechende Rechtsakt ist im Anhang der Richtlinie angeführt. In sachlicher Hinsicht ist der Anwendungsbe- reich weit gefasst. So kommen neben dem allgemeinen Verbraucherschutzrecht auch Bereiche wie Datenschutz, Reiseverkehr, Energie, Telekommunikation oder Finanz- dienstleistungen in Frage. Klagen könnten daher beispielsweise gegen Erhöhungen von Bankgebühren oder bei Verstößen gegen Fluggastrechte eingebracht werden. Worin sich die Interessenvertreter der Industrie durchgesetzt haben, ist, dass nur bestimmte, qualifizierte Einrichtungen stell- vertretend für die Verbraucher zur Klage legitimiert sind. Die Kriterien, die diese Einrichtungen zu erfüllen haben, variieren je nachdem, ob bloß rein innerstaatliche Sammelklagen angestrengt werden oder ob die Einrichtung auch zu grenzüber- schreitenden Klagen befugt sein soll.Wäh- rend es für innerstaatliche Klagen ausrei- chend ist, dass die nationalen Zulässigkeits- erfordernisse erfüllt sind,muss die Einrich- tung für das Erheben grenzüberschreiten- der Verbandsklagen über bestimmte Qua- lifikationen verfügen. Sie muss dafür ord- nungsgemäß niedergelassen sein, gemein- nützig arbeiten und ein legitimes Interesse am Schutz der Verbraucherinteressen haben. Ist das Vorgehen auf Schadenersatz gerichtet, muss die Einrichtung zusätzlich die Herkunft der Mittel sowie ihre finan- zielle Ausstattung offenlegen. Gerichte und Behörden sollen dadurch die Finanzie- rungsmodalitäten der konkreten Einrich- tung überprüfen können. Hinsichtlich der Orte, an den geklagt werden kann, eröffnet die Richtlinie weit- reichende Spielräume. So kann die Klage am Wohnsitz jedes beteiligten Verbrau- chers eingebracht werden, selbst wenn das beklagte Unternehmen keinen Sitz in der EU hat. Zudem besteht ein Gerichtsstand am Sitz oder der Niederlassung des Unter- nehmens. Kritiker der Richtlinie befürch- ten, dass dies zu einem sogenannten forum shopping führen wird. Das bedeutet, dass die Sammelklagen vor allem in jenen Mit- gliedsstaaten mit der verbraucherfreund- lichsten Umsetzung der Richtlinie einge- bracht werden. Ummissbräuchlichen Klagen vorzubeu- gen, enthält die Richtlinie mehrere Schutz- mechanismen. So hat die unterliegende Partei – somit auch die qualifizierte Ein- richtung – der obsiegenden Partei die Kos- ten des Verfahrens zu ersetzen. Darüber hinaus sind offensichtlich unbegründete Klagen in einem möglichst frühen Verfah- rensstadium abzuweisen. Die Mitgliedsstaa- ten haben hingegen dafür zu sorgen, dass Unterlassungsklagen zügig ablaufen. Die Richtlinie sieht außerdem vor, dass laufen- de Verjährungsfristen durch das Erheben einer Verbandsklage gehemmt werden. Potenzielle Gefahr Die Position der Verbraucher wird durch die neuen Rechtsschutzmöglichkeiten zweifelsfrei gestärkt. So wird ihnen der Zu- gang zu den Gerichten erleichtert, indem sie sich ohne großes Kostenrisiko einer Sammelklage anschließen können, die am Wohnsitzgericht des Verbrauchers ein- gebracht werden kann. Damit werden Klagen erleichtert, die für das betroffene Unternehmen aufgrund der Vielzahl der potenziell Geschädigten und der damit einhergehenden hohen Streitwerte unange- nehme Folgen haben können. Allerdings haben große, international agierende Unternehmen immer noch einen Vorteil gegenüber den Verbrauchern, da es ihnen aufgrund ihrer Finanzstärke möglich ist, renommierte und zumeist teure Kanz- leien mit entsprechender fachlicher Exper- tise zu beauftragen. Qualifizierte Einrich- tungen können aufgrund des Gemeinnüt- zigkeitserfordernisses bei der Auswahl ihrer Rechtsvertretung auf Kanzleien beschränkt sein, die eine günstigere Abrechnung an- bieten und allenfalls nicht über dieselbe fachliche Qualität und dieselben Ressour- cen verfügen. Abzuwarten bleibt, inwieweit die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit der Drittfinanzierung einer Sammelklage, etwa durch Prozesskostenfinanzierer, vorsehen werden. Die Richtlinie überlässt diese Ent- scheidung grundsätzlich den Mitgliedsstaa- ten, sofern der Schutz der Kollektivinter- essen der Verbraucher gewahrt bleibt. Fazit Da die Richtlinie den Mitgliedsstaaten in wesentlichen Punkten einen Spielraum für die Umsetzung zugesteht, bleibt abzuwar- ten, wie die nationalen Gesetzgeber die EU-Sammelklage rechtlich ausgestalten werden. Daraus können sich deutliche Unterschiede in den nationalen Rechtsord- nungen ergeben.Ob die neue EU-Sammel- klage nun ein echter „Gamechanger“wird, kann nicht abschließend beurteilt werden. Fest steht, dass die Richtlinie das Potenzial hat, das Kräfteverhältnis zwischen Unter- nehmen und Verbrauchern vor Gericht zu- gunsten der Verbraucher zu verändern. Die Autoren: Mag. Christian Lenz ist Rechtsanwalt und Mag. Michaela Schadenhofer Rechtsanwaltsanwärterin im Bereich der Prozessführung bei BRANDL TALOS Rechtsanwälte. FP Mag. Christian Lenz, BRANDL TALOS Rechtsanwälte. Mag. Michaela Schadenhofer, BRANDL TALOS Rechtsanwälte. fondsprofessionell.at 1/2021 259

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