FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020
4 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 brief der herausgeber D er Corona-Schock steckt der Welt in den Knochen, und bislang ist noch weitgehend offen, wie die mittelfristigen Auswirkun- gen des beinahe weltweiten Stillstands großer Teil der Wirt- schaft aussehen werden – ein Heer von Arbeitslosen, eine Vielzahl von insolventen Unternehmen und die nach wie vor herrschende Unsicherheit darüber, ob und wann wir zu einem Leben und Wirt- schaften zurückkehren können, wie es vor der Pandemie der Nor- malfall war. Man muss also kein grundsätzlich pessimistischer Mensch sein, um skeptisch in die Zukunft zu blicken. Fest steht aber eines: Aufgrund der rekordhohen Rettungspakete schnellen die Defizite der Staatshaushalte weltweit nach oben, und damit ist eine Rückkehr zu einer „normalen“ Zinslandschaft endgültig passé. Das heißt auch, dass es streng genommen kein risikoarmes Portfolio mehr gibt. Wer sein Geld auf dem Konto lässt, verliert im besten Fall die Inflation. Festverzinsliche Titel bringen nur noch dann Zinsen, wenn man Bontitätsrisiken in Kauf nimmt. Die oft gewählte Ausweich- strategie hieß „Immobilien“, und auch hier wurde in der Pandemie deutlich, dass sie mit – vielfach übersehenen – Risiken behaftet sind. Dass die Kaufpreise von Wohn- und Betriebsobjekten sinken können, war wohl jedermann klar, die Möglichkeit aber, dass es zu massiven Mietausfällen kommen kann, haben wohl auch viele Profis unter- schätzt. Damit bleiben fast nur noch Aktien als Kandidaten mit zumindest potenziellen Ertragschancen. Und weil diese nur im Dop- pelpack mit – zum Teil massiven – Wertentwicklungsschwankungen zu haben sind, wurden sie bisher vom Gros der Anleger gemieden. Unglücklicherweise, denn gemessen am Ausmaß der Krise hielten sich die Aktienmärkte erstaunlich gut. Sieht man sich etwa den Dax an, stellt man fest, dass die Markterholung, die um den 20. März begann, schon so viel von den Verlusten des Corona-Crashs ausge- glichen hat, dass die Einjahresbilanz des deutschen Leitindex Mitte Mai bei nur noch minus zehn Prozent lag. Das ist zwar kein Grund zum Jubeln, stellt man diesen Wert aber dem Ernst der Lage gegenüber, nimmt er sich fast schon wie ein Gewinn aus. Einige der erfolgreicheren vermögensverwaltenden Fonds konnten zu diesem Zeitpunkt sogar schon wieder positive Einjahresbilanzen vorweisen. Dass die voraussichtlich tiefste Rezession der Nachkriegszeit so we- nig Widerhall an den Aktienmärkten auslöst, ist doch überraschend. Die scheinbare Sorglosigkeit der Anleger löste durchaus Kommentare aus, die von einer Entkoppelung von Börse und Wirtschaft sprechen. Damit drängt sich die Frage auf, ist die Börse hier irrational, oder gibt es eine Erklärung für die Entwicklung? Die gibt es – ob sie richtig ist, wird sich zeigen; plausibel ist sie aber allemal. Der US-Ökonom Jeremy Siegel von der Wharton Business School sieht die Ursache für diese ungewöhnliche Stabilität des US-Aktienmarktes in den Ret- tungspaketen der US-Regierung, und sinngemäß lässt sich das auch auf Europa übertragen. Siegel geht davon aus, dass die beispiellose Liquidität, die hier in die US-Wirtschaft gepumpt wird, für Aktien weiter günstig sein werde. In den ersten acht Wochen der Krise sei dem System mehr Geld zugeführt worden als im gesamten Jahr nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Es gibt auch einen theo- retischen Unterbau zu dieser Meinung. Er stammt von dem polni- schen Ökonomen Michał Kalecki (1899–1970), der an Elite-Uni- versitäten lehrte und Wirtschaftsberater mehrerer Regierungen war. Unternehmensgewinne errechnen sich demnach – verkürzt dargestellt – aus Investitionen der Unternehmen plus Dividenden und Aktien- rückkäufen abzüglich der Ersparnisse der Haushalte und abzüglich der Einsparungen der Regierung. Budgetdefizite sind das Gegenteil von staatlichen Einsparungen und können daher Schwächen in an- deren Bereichen ausgleichen – wir kennen das als Deficit Spending von Kaleckis berühmtem Zeitgenossen John M. Keynes. Der US-In- vestment-Manager und Autor Cullen Roche setzte das Volumen in ein Verhältnis zu den anderen Einflussgrößen: „Die Investments wer- den um 30 Prozent fallen, Dividenden und Aktienrückkäufe werden sich um 20 Prozent verringern. Auch die Haushalte werden kurzfristig mehr sparen. Das staatliche Defizit wird in diesem Jahr aber bei 3,7 Billionen US-Dollar liegen. Zum Vergleich: In Summe ergaben die Nettoinvestitionen, Dividenden, Aktienrückkäufe und das Sparver- halten der US-Haushalte 2019 rund 4,7 Billionen US-Dollar. Das heißt, die angekündigten Stützungsmaßnahmen der USA betragen rund 78 Prozent dieses Volumens. Am Ende des Tages, so Cullen, landet dieses ganze Geld bei den Unternehmen. Wir hoffen, dass er recht behält. Bis zur nächsten Ausgabe wünschen wir Ihnen einen erholsamen und erfolgreichen Sommer. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Während die weltweit geschnürten Rettungspakete für Zinstitel ungünstig sind, scheinen Aktien davon sogar jetzt schon zu profitieren. Aktien als Krisenprofiteure Foto: © Marlene Fröhlich Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi
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