FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020

auf eben diesen Paragraf 492 Absatz 2 BGB verwiesen. „Der Gesetzgeber ging 2010 bei der Formulierung dieses Geset- zes zur nationalen Umsetzung der EU- Richtlinie offensichtlich davon aus, dass der Kaskadenverweis ausreicht“, so Rechtsanwalt Renner. Damit können sich alle Banken und Sparkassen, die dieses Muster verwendeten, darauf berufen, dass sie sich an deutsches Recht gehalten haben – Fachleute sprechen von einer „Geset- zesfiktion“. Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Bundesgerichtshof (BGH) den Kas- kadenverweis und den Mustertext des Gesetz- gebers in einem Urteil vom 22. November 2016 (Az. XI ZR 434/15) als ausreichend bestätigt hat. Welches Recht sticht? Die Situation ist offensichtlich vertrackt, denn was ist maßgeblich: europäisches oder deutsches Recht? „Der EuGH hat zwar klar- gestellt, dass diese Mustertexte gegen euro- päisches Recht verstoßen“, erklärt Renner. „Die Kernfrage ist aber, ob die Banken sich auf das Muster des deutschen Gesetzgebers verlassen durften.“ Und genau das durften sie offensichtlich, geht aus zwei BGH-Beschlüs- sen vom 31. März 2020 (XI ZR 581/18 und XI ZR 198/19) hervor: Wenn in einem Kre- ditvertrag – unabhängig davon, ob es sich um einen Ratenkredit oder einen grundpfand- rechtlich gesicherten Kredit handelt – das gesetzliche Muster für die Widerrufsinforma- tion verwendet wurde, greift die Gesetzlich- keitsfiktion. Die Banken haben sich dem BGH zufolge an die für sie verbindlichen Vor- gaben des deutschen Gesetzgebers gehalten und so Kunden wirksam über ihr Widerrufs- recht belehrt. Ob das nationale Recht den Vor- gaben der Verbraucherkreditrichtlinie genügt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Die Karls- ruher Richter weisen zudem darauf hin, der EuGH habe selbst mehrfach betont, dass die „Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Aus- legung contra legem des nationalen Rechts“ dienen darf. „Der BGH kann daher angesichts der eindeutigen Rechtslage, die in Deutsch- land aufgrund der gesetzlichen Musterwider- rufsinformation besteht, keine Auslegung entgegen des Wortlauts dieser Regelungen vornehmen“, sagt Peter Balzer, Partner der Düsseldorfer Kanzlei Sernetz Schäfer Rechts- anwälte und Honorarprofessor an der Univer- sität Siegen. Anwalt Renner zufolge gilt das aber nur für Fälle, in denen sich die Kreditinstitute wort- wörtlich an das Muster gehalten haben. Haben sie nur kleinste Änderungen vorgenommen, können sie sich nicht mehr auf diese Gesetz- lichkeitsfiktion berufen. Gibt es Streitfälle zwischen Banken und Kunden, müssten Rich- ter ran. „Die Gerichte müssen dann vor dem Hintergrund des Urteils aus Straßburg befin- den, ob das Urteil des BGH zum Kaskaden- verweis tragfähig ist“, so Renner. Alles klar? Leider nicht, denn es existieren Kredite, die nicht zwingend von der EU-Ver- braucherkreditrichtlinie erfasst werden – etwa grundpfandrechtlich besicherte Immobiliar- darlehen, bei denen der deutsche Gesetzgeber freiwillig die EU-Vorgaben erfüllte. Hier stellt sich – unabhängig von der Gesetzlichkeitsfik- tion der Musterwiderrufsinformation – eben- falls die Frage, inwieweit die Vorgaben des EuGH zu beachten sind. Allerdings hat der BGH auch hier schon entschieden: „Wie na- tionale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen (…), fällt in die ausschließliche Zustän- digkeit der nationalen Gerichte“ , heißt es im Beschluss XI ZR 581/18. Anwalt Balzer fügt hierzu an, dass bei Immobilienfinan- zierungen sicherlich mehr als 95 Prozent grundpfandrechtlich besichert sind: „Mit den beiden Beschlüssen des BGH hat sich der ‚Widerrufsjoker‘, den zahlreiche An- legeranwälte aufgrund der Entscheidung des EuGH ausgerufen haben, sehr schnell – und nicht unerwartet – wieder erledigt“, lautet daher sein Fazit. Erwartungsgemäß kritisieren Verbraucher- anwälte die Beschlüsse: „Der schon seit Jah- ren als bankenfreundlicher BGH-Senat be- kannte XI. Senat hat sich mal wieder auf die Seite der Banken geschlagen – zum Nachteil der Verbraucher“, meint etwa Ralph Veil von der Kanzlei Mattil & Kollegen aus München. „Gleichzeitig hat der BGH verdeutlicht, wie wenig er von der Rechtsprechung des ihm in dieser Frage übergeordneten EuGH hält.“ Haftet der Staat? Sowohl Balzer als auch Renner werfen unabhängig voneinander die Frage auf, ob unter Umständen eine Staatshaftung der Bun- desrepublik Deutschland in Betracht komme, weil die Vorgaben der Verbraucherkreditricht- linie bei der Schaffung der gesetzlichen Mus- terwiderrufsinformation nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Selbst wenn diese Fra- ge eines Tages entschieden ist, wären die Ban- ken fein raus, da eine fehlerhafte Umsetzung der europäischen Vorgaben jedenfalls kein fortbestehendes Widerrufsrecht des Kunden für seinen Darlehensvertrag zur Folge hat. JENS BREDENBALS | FP Peter Balzer, Sernetz Schäfer Rechtsanwälte: „Die Rechtslage in Deutschland ist eindeutig.“ Oliver Renner, Wüterich Breucker: „Die Kernfrage ist, ob die Banken sich auf das Muster verlassen durften.“ » Der BGH hat verdeutlicht, wie wenig er von der Rechtsprechung des ihm in dieser Frage übergeordneten EuGH hält. « Ralph Veil, Kanzlei Mattil & Kollegen www.fondsprofessionell.de | 2/2020 411

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