FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020
Foto: © jozisitoeroe | stock.adobe.com S echs Asset Manager haben schon präsentiert, der Magen grummelt, der Kopf brummt. Dennoch bleibt das Publikum auch beim letzten Vortrag des Abends geduldig sitzen. Die Präsen- tation schleppt sich dahin, es ist das übli- che Nachhaltigkeits-Gedöns in Power- point-Optik – bis die letzte Folie zumin- dest manchen Zuhörer wachrüttelt. Die Fondsmanagerin zeigt Beispiele, was je- der Einzelne tun kann, um das Klima zu schonen: Er könne fünf Minuten kürzer duschen, mit dem Rad statt mit demAuto zur Arbeit fahren, auf eine Fernreise im Jahr verzichten – oder sein Geld in einen Nachhaltigkeitsfonds stecken. „Das ist bis zu 23 Mal effizienter als eine der anderen Maßnahmen“, behauptet die Managerin, ohne dafür einen Beleg anzuführen. An jenem Abend, der einige Monate zu- rückliegt, bleiben ihre Worte unwiderspro- chen. Das mag dem Hunger oder der Müdig- keit geschuldet gewesen sein, bei wachem Verstand aber müsste jeder Anlageberater laut- stark protestieren. Denn natürlich führt der Vergleich in die Irre: Wer das Auto stehen lässt, senkt seinen Kohlendioxidausstoß tat- sächlich. Der Kauf eines ESG-Fonds dagegen hilft dem Klima erst einmal überhaupt nicht – die Investition wirkt höchstens indirekt. „Wirkungsillusion“ Frank Wettlauffer vertritt sogar die These, dass mehr ESG-Investments nicht zu mehr nachhaltiger Entwicklung führen. Das Gegen- teil könnte der Fall sein. Wettlauffer, der heute institutionelle Anleger berät, kennt die Szene, er saß lange Jahre im Vorstand des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG). „Nachhal- tige Fonds können alle Aktien von Kohle- konzernen verkaufen und das Geld in Titel von Erneuerbare-Energien-Hersteller inves- tieren: Da es für jeden Verkäufer einen Käufer geben muss, bleibt das Finanzkapital kons- tant“, argumentiert er. „Damit hat der Eigen- tümerwechsel keinen direkten Einfluss auf die Finanzsituation und das Management der Unternehmen.“ Es komme vielmehr darauf an, dass Unter- nehmer zusätzliche nachhaltige Projekte an- gehen. „Dies geschieht, wenn die Finanzie- rung zuvor limitiert oder zu teuer war“, sagt Wettlauffer. „Dies ist angesichts des Anla- genotstands und niedriger Zinsen in OECD- Ländern für finanziell attraktive grüne und andere Projekte nicht der Fall.“ Die geplante Pflicht für den Finanzsektor, über die nachhaltige Wirkung des jeweiligen Anlageprodukts zu berichten (siehe Seite 308), basiere auf einer „Wirkungsillusion“. Die Kunden würden „getäuscht“, meint Wettlauffer. „Anbieter grüner Geldanlagen stellen vor allem den vermeintlich positi- ven Beitrag des Anlageprodukts heraus. Dies könnte bei Anlegern zu weniger nachhaltigem Handeln mit effektiver Wir- kung führen, beispielsweise weil eine angebliche Kohlendioxidkompensation schon durch die Anlage in Finanzproduk- ten erreicht werde.“ Sprich: Wer einen Nachhaltigkeitsfonds kauft, hat kein schlechtes Gewissen, wenn er mit dem Auto zur Arbeit fährt. Druck auf Unternehmen Heike Fürpaß-Peter, verantwortlich für das Geschäft von Lyxor ETF in Deutschland und Österreich, lässt diese Argumentation nicht gelten. „Nachhaltige Investments dürfen natürlich nicht dazu dienen, sich ‚freizukau- fen‘“, betont sie. „Jeder sollte sich seiner eigenen Klimabilanz bewusst werden und sein eigenes Verhalten überdenken.“ Doch das rei- che nicht aus. „Zusätzlich gilt es, über Finanz- ströme Druck auf Unternehmen aufzubauen, um Veränderungen anzustoßen.“ Hilft es der Umwelt und der Menschheit tatsächlich, wenn immer mehr Anleger nachhaltig investieren? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Welten retter im Fondsmantel Die Menschheit hat es zu einem guten Teil selbst in der Hand, wie die Welt von morgen aussehen wird. Die Finanzindustrie behauptet, einiges Positive bewirken zu können. Mit dieser Aussage stößt sie auch auf Kritik. » Nachhaltige Fonds können alle Aktien von Kohlekonzernen verkaufen und das Geld in Titel von Erneuerbare-Energien-Hersteller investieren: Da es für jeden Verkäufer einen Käufer geben muss, bleibt das Finanzkapital konstant. « Frank Wettlauffer, Consultant 368 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 esg-spezial I nachhaltigkeitswirkung
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