FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020
Gernot Archner | BIIS „Nicht unwissender stellen, als man ist“ Gernot Archner, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Immobilien-Investment-Sachverständigen (BIIS), zur Frage, wie Gutachter in der Coronakrise Verkehrswerte für offene Immobilienfonds ermitteln. Z ahlen Mieter ihre Mieten nicht mehr, dann leiden Eigentümer und Investoren. Ertragsstörungen gehen in die Ermitt- lung der Verkehrswerte von Immobilien ein. Offene Immobilienfonds sind verpflichtet, eine quartalsweise Bewertung ihres Portfolios vornehmen zu lassen. Dadurch kommt dem Gutachter eine entscheidende Funktion bei der Entwicklung der Fondsperformance zu. Über die Herausforderung der Gutachter, in unsicheren Zeiten trotzdem zu angemessenen Bewertungen zu kommen, sprach FONDS professionell mit Gernot Archner, Geschäfts- führer des Bundesverbandes der Immobilien- Investment-Sachverständigen (BIIS). Wie unterscheiden Sie den Preis einer Immobilie von ihremWert? Gernot Archner: Der Preis einer Immobilie ist ein jeweils konkreter Betrag, auf den sich Erwerber und Veräußerer einigen. Der kann heute so, morgen so und unter verschiedenen Akteuren wiederum ganz anders ausfallen. Der Wert hingegen, man nennt das auch den verobjektivierten Marktwert oder Verkehrs- wert, betrachtet einen Durchschnittspreis von vielen Marktteilnehmern zu einem bestimm- ten Zeitpunkt, bei dem man ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse außen vor lässt. Wie sehr beeinträchtigt Corona das aktuelle Transaktionsaufkommen? Mitte März legte der Lockdown erst mal alles lahm. Aber nicht nur die Transaktionen, die vorher schon vertraglich fixiert waren, son- dern auch neue Ankäufe und Vermietungen finden inzwischen wieder statt. Was empfehlen Sie Immobiliengutach- tern, wie sie mit coronabedingten Unsi- cherheiten am besten umgehen sollen? Man muss vor allem aufpassen, dass man nicht auf eine fehlerhafte Doppelberücksich- tigung verfällt. Wenn man also wegen nur temporärer Ertragsstörungen die angesetzten Roherträge für die gesamte Restnutzungs- dauer eines Objekts herabsetzen würde und zusätzlich noch den Liegenschaftszinssatz als Rechengröße für die Verzinsung des markt- üblichen Objektertrags anhebt und dann noch zusätzlich einen Sonderabschlag für ausge- fallene Mieten für über – sagen wir mal – drei Monate vornimmt, dann würde man eine nur temporäre Mietminderung an zwei wei- teren Stellen für die gesamte Restdauer der Immobiliennutzung ansetzen. Und was ist mit dem Stichtagsprinzip? Das Stichtagsprinzip bedeutet nicht, dass man sich unwissender stellen darf, als man ist. Freilich müssen alle zum Stichtag bekannten Fakten Eingang in die Bewertung finden. Es bedeutet aber auch, dass man nicht speku- lative Annahmen in die Zukunft fortschreibt, sondern von der Marktevidenz ausgeht. Außerdem sind auch die Grundsätze von Bewertungskonsistenz und Bewertungskon- tinuität bei einem Vehikel wie einem Publi- kumsfonds mit täglichen Zu- und Abflüssen zu berücksichtigen. Das erste heißt, dass Sie Ihr Set an Grunddaten und Annahmen nicht beliebig in einer Situation erhöhter Unsicher- heit spontan verändern können, das zweite, dass Sie zum Beispiel für ein Langzeitpro- dukt wie den offenen Immobilienfonds mit zwei Jahren Mindesthaltedauer und einem Jahr Kündigungsfrist auch für die Bewertung einen ausreichend bemessenen Bezugszeit- raum für die Feststellung aussagekräftiger Transaktionsdaten veranschlagen müssen. Ein Gutachter soll wenig Gutdünken walten lassen, andererseits zeichnet ihn ja gerade seine Unabhängigkeit aus. Wie geht man mit diesem Dilemma um? Ermessensspielräume bewegen sich nicht in fixen Bänderungen. Gehen die Erwartungen von Käufern und Verkäufern auseinander, dann vergrößern sich zwangsläufig auch Ermessensspielräume. Wenn die Nachfrage- seite sehr stark und die Angebotsseite sehr schwach ist, dann engen sich mit den „Spreads“ natürlich auch Spielräume wieder ein. Der Ermessensspielraum ist immer be- zogen auf das relevante Marktgeschehen. Wem gegenüber muss sich ein Gutach- ter eigentlich rechtfertigen? Zunächst ist ein Gutachter frei in der Aus- übung seines sachverständigen Ermessens. Dies muss auch so sein, da es anderenfalls a priori keines Sachverständigen bedürfte. Jedoch müssen alle Daten, die er zugrunde legt, korrekt sein, und deren Bewertung – das ist der Bereich, bei dem subjektives Ermessen zum Tragen kommt – muss für Dritte nach- vollziehbar sein. Und eines dürfen Sie nicht vergessen: Ein Gutachter haftet unbeschränkt. Ermessensspielraum und Haftung gehen Hand in Hand. So ein Risiko tragen nur sehr wenige Berufsgruppen. Vielen Dank für das Gespräch. TILMAN WELTHER | FP Gernot Archner, BIIS: „Ein Gutachter ist frei in der Ausübung seines sachverständigen Ermessens.“ Online das komplette Interview lesen: QR-Code scannen oder www.fponline.de/OIF220 eingeben Foto: © BIIS 196 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 sachwerte I immobilien
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