FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020
Foto: © Q | stock.adobe.com A ls Stephan Kuhnke auf den Bildschirm seines Bloomberg-Terminals blickte, traute er kaum seinen Augen. Er hatte bei Anleihenhändlern Preise für einen Bond des Autobauers BMW abgefragt. Was der Vorsitzende der Geschäftsleitung sowie Leiter Kapitalmarktanalyse und Portfoliomanage- ment beim Investmenthaus Bantleon daraufhin zu sehen bekam, hatte er in seinen mehr als 25 Jahren Berufs- erfahrung nicht erlebt: Der Bond war praktisch unverkäuflich – obwohl die Bayern mit guter Bonität aufwarten, das Papier nur eine kurze Restlaufzeit aufweist und sogar bei der Euro- päischen Zentralbank eingereicht werden kann. Doch der Handel war nahezu zum Erliegen gekommen. Dies war im März 2020, inmitten des Corona-Crashs. „Das war die größte Liquiditätskrise aller Zeiten. Ich habe den Markt nie so eingefroren erlebt“, resümiert Kuhnke. Die weltweite Ausbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 und die Gegenmaßnahmen der Regierungen brachten die Wirtschaft zum Stillstand, ver- setzten die Finanzmärkte in Aufruhr – und den Rentenhandel in Schockstarre. Die Ver- werfungen an den Kapitalmärkten und spe- ziell bei Bonds trafen auch die Fondswelt hart. Anleger zogen Milliarden aus Publikums- fonds ab. Einzelne Portfoliomanager mussten sogar die Tore schließen und ihre Fonds einfrieren. Vor so einem Szenario hatten Fachleute und Aufseher bereits vor gerau- mer Zeit gewarnt. Eine Spurensuche, warum die Liquidität versiegte und wie sich offene Fonds letztendlich in diesem dramatischen Szenario schlugen. Die Schockwellen waberten durch prak- tisch sämtliche Segmente des Rentenmark- tes – inklusive solider Staatsanleihen. „Als Erstes waren US-Treasuries betroffen. Das war sehr ungewöhnlich: Anleihen, die nor- malerweise zu fast identischen Konditio- nen gehandelt werden, hatten plötzlich unterschiedliche Preise, weil ihre Liquidi- tät nicht die gleiche war“, berichtet Sara Devereux, Leiterin Zinsen bei der Fonds- gesellschaft Vanguard. „Das war das erste Anzeichen für einen Liquiditätsengpass am Markt.“ Die Anleihenexpertin begrün- det dieses Phänomen mit der Unsicherheit über die Ausbreitung der Pandemie und die wirtschaftlichen Folgen. Hoher Bargeldbedarf Insbesondere Unternehmen lösten in dieser Ausnahmesituation scharenweise ihre Invest- ments auf. Aus einem guten Grund: „In Stressphasen brauchen Unternehmen Bar- geld“, sagt Devereux, „sie haben keine Ein- nahmen wie in normalen Zeiten, müssen jedoch weiterhin ihre Mitarbeiter be- zahlen. Und Banken wollen Kredite vergeben.“ An einem normalen Tag sei die Beschaffung von Bargeld eine sehr geordnete, fast banale Angele- genheit. „Diesmal allerdings ging alles sehr schnell, und das war neu. Gleichzeitig war die Nachfrage nach Bargeld so hoch wie niemals zuvor.“ Angesichts der Masse von Verkäu- fern kapitulierten die Bondhändler. Sie konnten die Papiere nicht mehr auf eigene Rechnung parken, bis sie Abnehmer fanden. „Die Bilanzen sind schlicht nicht groß genug für all diese Risiken, auch nicht vorüber- gehend“, erläutert Devereux. Durch die striktere Regulierung nach der Finanzkrise 2008 hatten die Broker In der Krise kam der Anleihenhandel zeitweilig zum Erliegen. Das brachte einzelne Bondfondsmanager in die Bredouille. Die Aufseher schauen noch genauer hin. Dramatische Dürre Ausgetrocknetes Wasserreservoir: Wegen des pandemiebedingten Stopps der Weltwirtschaft benötigten vor allem Unter- nehmen Bargeld. Sie lösten ihre Investments auf, was zu Verwerfungen an den Kapitalmärkten führte. Flucht aus Anleihenfonds Nettomittelaufkommen europäischer Publikumsfonds* Europäische Anleger brauchten inmitten der Coronakrise Bargeld und stießen vor allem Bondfonds ab. *ausgewählte Kategorien | Quelle: Lipper Refinitiv -150 -120 -90 -60 -30 0 30 60 März 2020 Ferbuar 2020 Januar 2020 Anleihen Aktien Geldmarkt Mischfonds Immobilien Mrd. Euro -134,9 Mrd. Euro +44,4 Mrd. Euro 132 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 markt & strategie I liquidität
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