FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

Empfehlung widerrufen? Vermögensberater konnten in den vergan- genen Wochen verstärkt beobachten, wie sich einst vielversprechende Investitionsmöglich- keiten einen Wettbewerb imAbwärtsbewegen lieferten. Unter diesen Investitionsmöglich- keiten sind vermutlich auch solche, für die Vermögensberater ihren Kunden vor nicht allzu langer Zeit noch eine Kaufempfehlung erteilt haben. Was gilt aber, wenn Anlagebe- rater nur kurz nach dem Erteilen einer Emp- fehlung erkennen, dass nachträglich Umstän- de hinzugetreten sind, die eine anders lautende Empfehlung beziehungsweise unter Umstän- den sogar eine konträre Empfehlung notwen- dig machen? Müsste der Vermögensberater, der vor einigen Wochen noch zum Kauf des Reisebranchen-ETFs geraten hat, die Anleger nun kontaktieren und ihnen vom Kauf abraten beziehungsweise sogar eine sofortige Ver- kaufsempfehlung für den ETF aussprechen? Die Antwort auf diese Frage hängt einerseits davon ab, wie lange die vertraglichen Pflich- ten von Vermögensberatern in welchem Umfang laufen. Andererseits könnten auch nachvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflich- ten greifen. Zielschuldverhältnis Der Vertrag zwischen Anlageberatern und ihren Kunden ist üblicherweise ein Ziel- schuldverhältnis. Vermögensberater schulden ihren Kunden somit nicht über Tage, Wochen oder Monate hinweg Empfehlungen, sondern nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Anlageberatung vertraglich auf Dauer auszulegen. Das wäre dann quasi eine „Portfolioverwaltung light“, wo der Anleger laufend Empfehlungen erhält und diese selbst umsetzt. Ein Hybrid aus Anlageberatung und Portfolioverwaltung ist in der Praxis jedoch kaum vorzufinden. Davon zu unterscheiden ist die Pflicht, über nachträglich eintretende Umstände zu infor- mieren, worunter auch das Richtigstellen einer von Anfang an unzutreffenden Information fällt. Diese Pflicht ergibt sich unmittelbar aus der delegierten Verordnung zur Mifid II und normiert nachvertragliche Sorgfaltspflichten. Die Verordnung fordert von Anlageberatern konsequenterweise, dass sie eine Information, die sie zu Beginn der Tätigkeit bekannt geben müssen (z. B. Vorliegen von Interessenkon- flikten) bei Bedarf nachträglich korrigieren. In einer sehr prominenten Entscheidung hat der OGH auch festgestellt, dass ursprünglich unzutreffende Ratschläge zurückzunehmen sind. Wenn Anlageberater vor der Coronakrise eine Empfehlung erteilt haben und das ent- sprechende Finanzinstrument im Nachhinein nicht wie erwartet performt, ist das jedoch etwas anderes: Denn zum einen müssen Anlageberater von vornherein nicht auf das Risiko einer Virus-Epidemie hinweisen – in- soweit gibt es nichts zu korrigieren. Zum anderen ist der erteilte Ratschlag an sich nicht ursprünglich unrichtig. Zum Zeitpunkt des Erteilens war eine Pandemie nicht absehbar, eine Anlageempfehlung ohne Berücksich- tigung eines diesbezüglichen Risikos war damals daher ordnungsgemäß. Fragen der Anleger Reißerische Medienberichte sowie beunru- higende Zahlen und Fakten entfalten ihre Wir- kungen auch gegenüber Anlegern. Es kann al- so vorkommen, dass bei Anlageberatern die- ser Tage vermehrt das Telefon klingelt und nervöse Anleger Rat suchen. Ob es Auswir- kungen der Coronakrise auf die Portfolioper- formance, das Hinterfragen der Anlageent- scheidung oder die Notwendigkeit von Um- schichtungen betrifft – Anlageberater sollten die passende Antwort parat haben. Das bedeu- tet insbesondere, sich nicht zu sehr aus dem Fenster zu lehnen und nicht mit allen Mitteln zu versuchen, den Kunden zu beschwichtigen, sondern diesem mit nachvollziehbaren, objek- tiven Argumenten die aktuelle Situation zu erläutern. Die österreichischen Gerichte haben Be- schwichtigungsversuche (etwa „Keine Sorge, Ihr Kapital und die versprochenen Ausschüt- tungen bekommen Sie auf jeden Fall“) bereits mehrfach untersucht – und sind zum Ergebnis gekommen, dass diese für Anlageberater durchaus unangenehme Folgen haben können: Zunächst können derartige Beschwichti- gungsversuche die Erkennbarkeit eines Scha- denseintritts zeitlich hinausschieben. Das be- deutet, dass Anlageberater tendenziell länger haften, weil Schadenersatzansprüche des An- legers in drei Jahren nach Kenntnis von Scha- den und Schädiger verjähren. Darüber hinaus ermöglichen Beschwichtigungen von Anlage- beratern dem Anleger das Erheben des Ein- wands der „Arglist“. Dieser wird dort rele- vant, wo eine Schadenersatzforderung erst nach Ablauf der eben genannten Verjährungsfrist geltend gemacht wird. Der Arglisteinwand hat für Anlageberater zur Folge, dass sie sich nicht mehr auf das Argument der Verjährung stützen können – was schwerwiegende Konsequenzen in puncto Haftung nach sich ziehen kann. Der Balanceakt zwischen dem Gefühl für die Sorgen der Kunden und dem Gefühl für die gesetzlich gebotene Verhaltensweise mag auf den ersten Blick wie ein Drahtseilakt erscheinen. Glücklicherweise hat der OGH aber auch schon in einigen Fällen entschieden, dass nicht jede Form der Beruhigung diese Rechtsfolgen auslöst. So war etwa die Aus- sage „Reagieren Sie nicht vorschnell“ keine verjährungsbeeinträchtigende Beschwichti- gung. Generell gilt: Je sicherer man eine voll- ständige Erholung des Negativtrends ohne objektive Anhaltspunkte erscheinen lässt, des- to eher liegt ein verjährungsrechtlich proble- matisches Beschwichtigen vor. Idealerweise schaffen es Anlageberater daher, ihren Kun- den eine realistische Einschätzung der Port- folioentwicklung zu geben, ohne dabei gleich den Teufel an die Wand zu malen. Als siche- rer Hafen können allenfalls noch Aussagen wie „Das kann ich im Moment noch nicht mit Sicherheit sagen“ dienen. Das Coronavirus kann auch nicht infizierte Anlageberater ins Schwitzen bringen. Wer aber seine Lehren aus den bisherigen Krisen gezogen hat, für den sind Haftungsfälle in aller Regel aber unwahrscheinlich. Auch wer- den vor Corona-Zeiten erteilte Anlageempfeh- lungen nicht nachträglich falsch oder müssen von Anlageberatern berichtigt beziehungs- weise widerrufen werden. Vorsicht ist jedoch bei nervösen Anlegern geboten, die beruhigt werden möchten. Hier könnten Versuche, die Anleger in nicht vorhandener Sicherheit zu wiegen, die Verjährung von potenziellen Schadenersatzansprüchen beeinträchtigen. Im Ernstfall haften Anlageberater dann deutlich über die eigentliche Verjährungsfrist von drei Jahren hinaus. FP Die Autoren Dr. Raphael Toman, Rechtsan- walt, und Florian Braunauer, LL.M., Rechts- anwaltsanwärter, sind Mitarbeiter der auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Kanzlei Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH. 255 www.fondsprofessionell.at | 2/2020

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=