FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

Der Bedarf ändert sich auch durch die Krise nicht? Die Konsumenten sind vor- sichtig, viele Haushalte mussten das ge- setzliche Kreditmoratorium in Anspruch nehmen. So ein Umfeld muss für die Retailbanken ein enormer Dämpfer sein. Alexander Lippner: Dafür hat die Bank99 auch einen Vorteil: Die bauen größtenteils ein neues Kundenportfolio auf und haben keine oder nur wenige Risiken in den Büchern. Sie sind vorerst auch nicht mit Finanzierungs- produkten in den Markt gegangen, es geht um Konten, Zahlungsverkehr und damit um Pro- visionsgeschäft. Ich denke, die sollten das hinbekommen. Es gibt ein gesetzliches Kreditmorato- rium, das einen Anspruch auf Stundung der Kreditzahlungen einräumt. Angeb- lich hat die Politik davor die Banken zu einem privaten Moratorium gedrängt. Das hat offenbar nicht geklappt. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit von Staat und Banken in der Krise? Sind beide Seiten immer glücklich? Bernhard Gruber: Wir waren bei diesen Verhandlungen nicht dabei und kennen die Hintergründe im Detail nicht. Allgemein kann man aber sagen, es ist nicht im Interesse der Banken, wenn großflächig die Raten für eine gewisse Zeit nicht bezahlt werden. Das wird irgendwann auch ein Liquiditätsthema. Der Kompromiss, der gefunden wurde, scheint aber vertretbar. Die Banken konnten ihre Filialen offen halten – im Gegensatz zu den Vermö- gensberatern oder dem Versicherungs- vertrieb. Haben die Banken das Ihrer Be- obachtung nach genutzt – etwa um „kri- sengerechte“ Veranlagungsprodukte zu verkaufen? Oder war alles konzentriert auf den nötigsten Geschäftsbetrieb? Alexander Lippner: Aus meiner Beobachtung hatte das Personal in den Filialen auch mit der Entgegennahme von Neuproduktanträgen zu tun. Da wird auch das eine oder andere Ver- anlagungsprodukt dabei gewesen sein. Jeden- falls konnten wir eine Zunahme beim Pro- duktverkauf über digitale Kanäle beobachten. Es wurde öfter über Personalmangel berichtet. War das nur die erste Sorge, oder gab es tatsächlich Engpässe? Alexander Lippner: In den ersten zwei Wo- chen gab es organisatorische Fragen, weil man jede Besetzung splitten musste, um Teams und Kunden zu schützen. Man wusste ja auch nicht, wie das eigene Team vom Virus betroffen ist. Abseits davon waren aber tatsächlich sowohl das Front- als auch das Mid- und Backoffice sehr gefordert wegen des Ansturms auf die Stundungen, Garantien oder Ähnliches. Da hat es öfter geknistert. Aber nichts, das nicht zu bewältigen gewesen wäre. Was bedeutet die Krise für die Fintechs? Werden sie gewinnen, weil jetzt jeder merkt: „Das geht eh alles auch digital.“ Oder festigt sich die Bindung zur tradi- tionellen Hausbank, die einem durch die schwere Zeit hilft? Alexander Lippner: Beides. Aber die Chance für Zugewinne ist bei den Fintechs geringer: Ein großer Anteil hat sein Geschäftsmodell mittlerweile darauf ausgerichtet, dass sie mit großen Bestandsbanken kooperieren und in deren Angebot integriert sind – oft über White Labelling. Es gibt ein paar Challengerbanken, die aber von der Gewinnzone weit entfernt sind. Die müssen wahrscheinlich eher schau- en, wie sie am aktuellen Kapitalmarkt ihre Finanzierungsrunden durchbringen. Umgekehrt werden traditionelle Banken auch noch Geld für die Digitalisierung aus- geben müssen? Alexander Lippner: Die traditionellen Banken haben ihre digitalen Kanäle mittlerweile halb- wegs auf Vordermann gebracht. Aber die Kunden haben das oft nicht genutzt. Stichwort Video-Chats – die sind extrem zaghaft ange- laufen, obwohl sie schon seit mehreren Jahren am Markt sind, speziell in der Wertpapier- beratung. Ich könnte mir vorstellen, dass das jetzt um einiges leichter wird. Der Zuspruch für die digitalen Kanäle der Bestandsbanken wird steigen. Im Verkauf und im Service sind mittlerweile die wesentlichen Technologien implementiert. Wo die Bestandsbanken auf- holen müssen, ist die wirkliche digitale Inte- gration der Prozessketten. Man muss sich überlegen, wie man die eine oder andere per- sonalintensive Position automatisieren kann. Wer am Bankenmarkt wird als Gewin- ner aus der Krise hervorgehen? Alexander Lippner: Österreichische Institute, die in der Region stark mit ihren Kunden verbunden sind, speziell im KMU-Bereich, werden ihre Kundenbindung verstärken. Überregionale Großinstitute, die nicht nah am Kunden sind, werden nicht gewinnen. Vielen Dank für das Gespräch. EDITH HUMENBERGER-LACKNER | FP » Man kann sagen, dass in der Vergan- genheit insbesondere die Dividenden der RBI ein wesentlicher Einkommensbestand- teil anderer Sektor- einheiten waren. « Bernhard Gruber, KPMG Mag. Bernhard Gruber Bernhard Gruber, KPMG-Partner, Advisory, langjäh- riger Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, ist tätig in der Beratung von internationalen und österreichi- schen Banken. Seine Spezialgebiete sind Aufsichts- recht, Risikomanagement und die Bewertung und Bilanzierung von Finanzinstrumenten. www.fondsprofessionell.at | 2/2020 243

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