FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

denten. Wer zur WK-Urne schreitet, kann lediglich die Fachgruppenvertretung im Bun- desland direkt bestimmen. „Es ist, als würde man nach der Gemeinderatswahl gleich alles bis zum Bundeskanzler hinauf hochrechnen“, sagt Matznetter. Dass seine Fraktion in vielen Fachgruppen an Sammellisten beteiligt ist, kann er zwar nicht direkt geißeln. Glücklich ist er damit aber hörbar nicht: „Man kann nicht verhindern, dass zwei Parteien sich das ausmachen, im Rahmen einer Wahl, die ohne- hin nicht sehr demokratisch ist. Es wäre besser, wenn das System demokratischer würde“, sagt Matznetter. Er fordert, wie auch die Grünen, künftig zwei Wahlzet- tel: einen für die eher unpolitische Ebene der Fachgruppenvertreter und einen für die Wirtschaftsparlamente. Stimmenhandel Dass sich Einheitslisten vorab Posten und Mandate ausschnapsen, ist nicht das einzige Manöver, das Wähler frustriert. Ebenso stö- rend ist für viele, dass ihr „Kreuzerl“ nach der Auszählung bei einer anderen Partei landen könnte. „Es heißt, ich geb’ dir die Stimmen aus Mödling, die brauchen wir dort nicht, dafür gibst du mir deine aus Graz. Solche Zu- rechnungen werden nicht veröffentlicht. Ein Wähler weiß nicht, wie viel eine Partei von der anderen bekommen hat, um ein Mandat zu erlangen“, sagt Michael Schuster, Bundes- sprecher der Neos-Wirtschaftsfraktion Unos. Diese Zurechnungen sind prinzipiell erlaubt und für kleinere, oft unpolitische Namenslis- ten sogar wichtig: Wer zu wenige Stimmen hat, um es in die Sparten zu schaffen, kann seine Mandate einer Fraktion übertragen, die einen in der höheren Ebene vertritt. Die In- transparenz dahinter sorgt aber für ein ungutes Gefühl. Und es ist nicht der einzige Schatten, der über den Zurechnungen liegt. Dem Vernehmen nach werden die Stimmen nicht nur nachträglich verschoben, sondern mitunter auch verkauft. Die Unos sagen, je- mand habe ihnen Geld für Stimmen geboten. Ein hoher grüner Funktionär erzählt ebenfalls, dass eine kleinere Liste ihre Mandate wie folgt anbot: „Sie wollten keine Vertretung in der Sparte, sondern lieber eine ,Wahlkampf- kostenrückerstattung‘“. Ein Informant in zen- traler Position, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, berichtet über monetäre Dimensionen: „Der Preis eines Mandats ergibt sich aus der Wählergruppenförderung im je- weiligen Vertretungskörper, geteilt durch die Zahl der Mandate. Es geht meist um einige tausend Euro.“ Stimmenkäufe „finden zwei- fellos statt“, sagt ein weiterer lang dienender Insider. Das System sei dazu angetan: Eine Wählergruppenförderung erhalten in den mei- sten Bundesländern nur die im Wirtschafts- parlament vertretenen Fraktionen. Wer es nicht hineinschafft, schaut mit seinen in der Urwahl errungenen Mandaten finanziell durch die Finger – allerdings können diese Mandate einer Parlamentspartei helfen, schließlich be- kommt die dann mehr Förderung. Abseits davon irritiert die ansonsten berech- tigte Zurechnung die Wähler in einem weite- ren Aspekt. Nämlich dann, wenn sie nicht bei unpolitischen Mini-Listen („Rauchfangkehrer mit Herz“) passiert, sondern wenn Mandate über politische Lager hinweg verschoben wer- den. Wo solche „interideologischen“ Zuschrei- bungen bekannt werden, sorgen sie für Wir- bel, wie nach der Wahl 2015: Da wander- ten in Wien über tausend Stimmen von „Blau“ zu „Schwarz“. Die Wirkung solcher Rochaden ist beträchtlich. Ein Beispiel, das aber auch auf andere Gruppen zutreffen könnte: Während der WB in Wien mit Zurech- nungen und Einheitslisten auf 54 Prozent kommt, seien es ohne eher 30 bis 40 Pro- zent, sagen die Unos. Der WB-Wien beant- wortete eine Anfrage nicht. Die Kammer argumentiert, ihr Wahlsystem sei komplex, weil es eine Vielzahl verschie- dener Unternehmen unter einen Hut bringen müsse. Tatsächlich liegt auf der Hand, dass eine Mega-Organisation nie für jeden das Idealmaß bieten kann. Gleichzeitig verdeut- licht ein System, das man ohne Wifi-Zertifikat in „höherer Wahlarithmetik“ unmöglich ver- stehen kann, warum sich die Wähler distan- zieren. Wenn es zu einer Legitimationsfrage aufgrund geringer Wahlbeteiligung kommt, stimmt etwas nicht. Corona, Legitimation, Ehrenrunde In „normalen“ Wahljahren ist die seit Lan- gem schwelende Berechtigungsdiskussion stets rasch abgeklungen. Im Corona-Jahr jedoch hält sie sich: Nun steht die WKO bei der Verteilung der Regierungshilfsgelder unter extremer Beobachtung. Dass das nicht die Finanzämter machen, passt vielen nicht – zum Beispiel den Unos und deren Mutterpartei Ne- os, die keine Gelegenheit auslassen, um die Kammer anzugreifen. Diese Diskussion über die Legitimation schadet am meisten jenen, die über die Kammerstruktur tagein tagaus fachlich etwas bewegen. Ärgern wird das etwa viele Funktionäre bei den Finanzdienst- leistern, die in den vergangenen Jahren auf- grund der Regulierungsdichte ein hohes Ser- vicepensum absolviert haben. Nicht grundlos gehören WKO-Vorträge am FONDS profes- sionell KONGRESS zu den Referaten mit dem höchsten Publikumsinteresse. EDITH HUMENBERGER-LACKNER | FP » Man kann nicht verhindern, dass zwei Parteien sich das ausmachen im Rahmen einer Wahl, die ohnehin nicht sehr demokratisch ist. « Christoph Matznetter, SWV-Präsident Österreichweites Wahlergebnis 2020 Stimmen und Mandate aus der Urwahl im März Das Wahlergebnis auf dem Papier. Wer von wem „Zurechnungen“ bekommen hat, ist von außen nicht erkennbar. 1 inklusive der Vorarlberger Wirtschaft – Team Hans Peter Metzler | 2 in Nachfolge des RfW (außer Wien und Salzburg), der FPÖ in Wien und der FWS in Salzburg | 3 IV = „Liste Industrie“: Bei nur einem gültigen Wahlvorschlag gelten die Wahlwerber dieses Vorschlags als gewählt. | 4 FdgWÖ = Fachliste der gewerblichen Wirtschaft Österreich = in Nachfolge des RfW in Wien und Salzburg Quelle: WKO Sonstige FdgWÖ 4 UNOS IV 3 FW 2 Grüne SWV ÖWB 1 Mandate: 74,7 % Stimmen: 69,6 % +3,0 % Mandate: 8,7 % Stimmen: 10,3 % –0,5 % Mandate: 6,3 % Stimmen: 9,5 % +0,4 % Mandate: 4,1 % Stimmen: 6,2 % –3,2 % Wahlberechtigte: 692.877 Wahlbeteiligung: 33,7 % Mandate: 3,4 % Stimmen: 0 % Mandate: 1,1 % Stimmen: 2,7 % +0,7 % Mandate: 0,3 % Stimmen: 0,5 % –0,4 % Mandate: 1,4 % Stimmen: 1,3 % +0,0 % www.fondsprofessionell.at | 2/2020 181

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