FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2020

tät bei der EZB einlegen zu dürfen. Verständ- licherweise will niemand der Erste sein, der diese Strafzinsen an Private weitergibt. Die Banken seien auch deshalb zurück- haltend, weil sie nach den 2017 gerichtlich angeordneten Millionenrückerstattungen von Negativzinsen im Kreditbereich keine neuen Schlagzeilen zum Thema brauchen, sagt Christian Prantner vom Konsumentenschutz- verein VKI. Statt Negativzinsen einzuführen, würden eher die Gebühren erhöht. Zwischen 2010 und 2018 seien manche Bankentgelte um über 200 Prozent gestiegen. Auf die Ruhe will sich Prantner aber nicht verlassen. Er fordert ein Gesetz, das auch Girokonten aus- drücklich vor Minuszinsen schützt. Doch ist so ein Gesetz überhaupt sinnvoll? Man muss sich vor Augen halten, dass ein Null- oder Negativzinsverbot nur die nomina- len Zinsen betreffen würde. In realen Werten gemessen, haben Minuszinsen hingegen ohnehin schon seit Langem Tradition (siehe Grafik vorige Seite): Anleger der 1970er-Jahre hatten Sparbuchzinsen von fünf Prozent und sind dennoch nicht zu beneiden, weil dem Inflationsraten von neun Prozent gegenüber- standen. „Früher war nicht alles besser“, sagte OeNB-Gouverneur Robert Holzmann dazu auf dem diesjährigen FONDS professionell KONGRESS in Wien. Und er skizzierte eine Zukunft, die weiter düster aussieht: Innerhalb der US-Notenbank Fed werde mittlerweile nicht nur das bekannte „Lower for longer“ diskutiert, sondern ein „Low for ever“. Sinkflug seit dem Mittelalter Tatsächlich mehren sich die Denkansätze, wonach ein echter Zinsaufschwung unwahr- scheinlich ist. „Negativzinsen sind unaus- weichlich“, sagt der Wirtschaftshistoriker Paul Schmelzing. Er hinterlegt diese Aussage mit einer viel beachteten Studie, für die er die weltweiten Zinsen seit dem Jahr 1311 analy- siert hat. Seit dem Mittelalter fallen die Real- zinsen jedes Jahr um etwa 0,6 bis 1,6 Basis- punkte. Das entspricht 0,6 bis 1,6 Prozent- punkten pro Jahrhundert. Auf diesen Abwärts- sog, so Schmelzing, haben die Notenbanken kaum einen Einfluss (siehe Kasten links). Sei- ner Berechnung zufolge könnten ab dem Jahr 2038 global alle langfristigen Zinsen negativ sein. Mögliche Faktoren sind weltweit stei- gende Vermögen (Überangebot) und eine immer sicherere Welt, was die Risikoprämien sinken lässt. Zinseszinseffekt ade! Vor diesem Horizont stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn der einst so wichtige Zinseszinseffekt komplett verschwindet – ein wesentlicher Treiber beim Vermögensaufbau. Ein vor 2.000 Jahren auf das Sparbuch gelegter Euro-Cent wäre bei einer Verzin- sung von jährlich drei Prozent bis heute auf den unüberschaubaren Betrag von 472.551.787.558.312.773.419.008 Euro ange- wachsen. Es gibt Milliardäre, die lassen nach Möglichkeiten forschen, sich einfrieren zu las- sen, um in der Zukunft „taufrisch“ zu erwa- chen. Geldtechnisch bringt das nichts: Ein Cent würde bei einer derzeit als hoch gelten- den Verzinsung von 0,25 Prozent per annum in 2.000 Jahren auf nur 1,47 Euro angewach- sen sein. Aus Sicht eines Vermögensberaters sollte man solchen Menschen unbedingt raten, lieber die Möglichkeit von Reisen in die Ver- gangenheit zu erforschen. Natürlich hat dieses Exempel eine ernste und hoch politische Seite. Teodoro Cocca, Finanzexperte an der JKU-Linz befürchtet Generationenkonflikte, weil der sichere Ver- mögensaufbau erschwert wird (siehe Inter- view nächste Seite). Stefan Pichler, Wirt- schaftswissenschaftler an der WU Wien, gibt zu bedenken, dass man vom Zinseszinseffekt weiterhin profitieren könne, zum Beispiel, wenn man auf Aktienrenditen setzt. Aber na- türlich löse das nicht das Problem, dass man mit sicheren Assets keinen Vermögensaufbau mehr betreiben kann, um eine Pensionslücke zu schließen. Das erhöht letztendlich den Druck auf die Politik, sich etwas zu überlegen. Es wird nicht reichen, wenn man die Bürger motiviert, hauptsächlich über Aktien privat vorzusorgen. Vielmehr könnte das bei der nächsten Wahl nach hinten losgehen, man denke nur an die momentanen Kursturbulenzen. In Deutsch- land fordern Politiker nun zum „Schutz der Sparer“ Bürgeranleihen, die auf zehn Jahre mit plus zwei Prozent verzinst sind. Wohl- gemerkt: Eine zehnjährige deutsche Staats- anleihe rentierte zu Redaktionsschluss bei minus 0,8 Prozent. WU-Experte Pichler findet solche Anleihenkonzepte volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich fragwürdig. „Ich kann den Bürgern in welcher Form auch im- mer Geld schenken. Letztendlich wäre es eine Transferleistung, ein Wahlzuckerl“, sagt er. EDITH HUMENBERGER-LACKNER | FP Die Zinsen sinken schon seit 700 Jahren Anfang des Jahres sorgte Paul Schmelzing , Historiker an den Universitäten Yale und Harvard, für Aufsehen. Die realen Zinsen sinken schon seit Jahrhunderten, zeigt ein lesenswertes Arbeitspapier, das Schmelzing für die Bank of England erstellt hat. Die Finanzkrise spielt „bestenfalls eine untergeordnete zyklische Rolle bei der Erklärung des Niedrigzinsniveaus“, heißt es darin. Demnach lag der reale risikofreie Zinssatz in den ver- gangenen 700 Jahren bei rund 4,8 Prozent. Allerdings: Jährlich sinkt seit dem Mittelalter der Wert um 0,006 bis 0,016 Prozentpunkte – unterbrochen nur von vorüber- gehenden Trendwenden (etwa im 17. Jahrhundert). Gemessen am langfristigen Kontext bewegen sich die derzeit tiefen Realzinsen der Staaten nur „zurück zum historischen Trend“. Ernüchternd: Die Geschichte lässt keinen Hinweis darauf zu, dass fiskal- oder geldpolitische Aktionen den Trend aufhalten, so Schmelzing. Die Realzinsen könnten „bald dauerhaft negatives Terrain betreten“ – global könnte das laut dem Papier bei den langfristigen Zinsen ab 2038 der Fall sein. „Das aktuelle Realzinsniveau sollte niemanden überraschen, der die langfristigen Trends umfassend aufzeichnet“, so Schmel- zing, dessen Daten bis ins 14. Jahrhundert zurückrei- chen und 78 Prozent des BIPs der fortgeschrittenen Wirtschaft abdecken. Vermutete Gründe für den langfristigen Niedrigzins: Die Risikoprämien sinken, weil die Welt sicherer wird. Es wird global immer mehr Kapital angehäuft – aufgrund des Kapitalüberangebots sinkt der Preis für das Kapital. » Ich kann den Leuten in welcher Form auch immer Geld schenken. Letztendlich wäre es eine Transfer- leistung, ein Wahlzuckerl. « Stefan Pichler, WU Wien Zins-Fragen 1. Warum ist das aktuelle Zinsniveau so niedrig? Der Abwärtstrend besteht bereits seit drei Jahrzehnten. Zum Beispiel hat das Inflationsmanagement der Zentral- banken die Inflationsrisikoprämien reduziert. Die Zinsen fallen auch, weil es im Vergleich zur Investitionstätigkeit einen Überhang an globalen Ersparnissen gibt. Dazu kommt: Der Leitzins wurde auf null Prozent gesenkt, um Konsum und Investitionen anzuregen. 2. Welche Risiken bringen Negativzinsen? Haushalte und Unternehmen könnten bei der Veran- lagung hohe Risiken eingehen („Jagd nach Rendite“). Es kann das Problem von Preisblasen bei Investitionen in langfristige und illiquide Vermögenswerte wie Immo- bilie auftreten. Außerdem können lange Phasen niedriger Zinsen zu einer Verschuldung verleiten, die bei steigen- den Zinssätzen nicht tragbar ist. Quelle OeNB www.fondsprofessionell.at | 1/2020 265

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