FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2019

4 www.fondsprofessionell.at | 4/2019 brief der herausgeber D ie Zinsen, so viel scheint sicher, bleiben tief. Mit Christine Lagarde übernimmt eine Frau das Ruder der EZB, die aller Voraussicht nach am (Tiefzins-)Kurs ihres Vorgängers festhal- ten wird. Sparen im traditionellen Sinn bleibt damit ein Verlustge- schäft. Nun erreicht langsam, aber sicher auch die Alternativveran- lagung des Normalbürgers ihr Limit: die Immobilie. In den Ballungs- räumen sorgen die hohen Preise längst dafür, dass ohne Fremdkapi- taleinsatz kaum mehr eine Rendite zu erwirtschaften ist. Schon heute dürfte es viele Anleger geben, die verlustträchtige Wohnungen und Häuser besitzen, ohne sich dessen bewusst zu sein – angesichts ne- gativer Realzinsen ist das sogar akzeptabel. Eines ist aber bemerkens- wert: Bisher hat – in Europa – trotz des anhaltenden Anlagenotstands kein Run auf Aktien stattgefunden. Und das obwohl Ende Oktober sogar Griechenland eine zehnjährige Anleihe mit einer Emissions- rendite von 1,5 Prozent platzieren konnte. Warum interessiert sich niemand für Aktien, obwohl die europäischen Standardwerte, die im Euro Stoxx 50 Index zusammengefasst sind, fast vier Prozent Divi- dendenrendite aufweisen? Eine plausible Erklärung dafür wäre die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte. Wer heute den Chart- verlauf des Euro Stoxx 50 Index mit jenem des S&P 500 Index über die letzten 30 Jahre hinweg vergleicht, muss zu dem Schluss gelan- gen, dass die Europäische Union und damit auch viele ihrer Unter- nehmen nach 2009 aus wirtschaftlicher Sicht den Anschluss verpasst haben. Das war nicht immer so: Ausgehend vom Jahr 1989 lagen Europa-Aktien bis zum Höhepunkt der Technologieblase vor den US- Werten, bis kurz vor dem Ausbruch der Subprime-Krise hielt sich dann der US-Leitindex etwas besser, wobei europäische Standard- werte nicht mehr ihre Höchststände des Jahres 2000 erreichen konn- ten. Im Crash von 2008 büßten erneut beide Marktbarometer mehr als die Hälfte an Wert ein, in weiterer Folge – ab Trendwende im März 2009 – zeigen die beiden Chartverläufe aber eine spektakuläre Divergenz. Das US-Marktbarometer notierte zuletzt fast 350 Prozent höher als am Anfang des immer noch intakten Bullenmarktes, der Euro Stoxx 50 schaffte im selben Zeitraum nicht einmal 100 Prozent Wertzuwachs, wobei der beste Wert nach der Krise schon im Jahr 2015 erreicht wurde, seither tendiert er seitwärts. Wer heute zurück- blickt, sieht einen Aktienindex, der etwa 30 Prozent tiefer notiert als 1999. Oder anders formuliert: Wer nur den Chart des Euro Stoxx 50 kennt, muss annehmen, dass Aktien ein vorprogrammiertes Verlust- geschäft sind. Schuld daran ist die Spaltung der EU in einen funk- tionierenden Norden und einen nicht funktionierenden Süden. Mit deutschen Aktien hatte man nämlich kein Problem, der Dax muss sich im 30-Jahres-Vergleich nicht hinter dem US-Markt verstecken. Alle anderen europäischen Börsen hingegen schon, sie hinken seit 2009 hinterher und bewirkten als Gruppe, dass der Euro Stoxx 50 heute weit abgeschlagen ist. Etliche Aktien aus dem Index notieren heute weit unter ihren historischen Höchstkursen, obwohl sie Gewin- ne erzielen und auch Dividenden ausschütten. Es wäre aber möglich, dass sich das gerade ändert, denn vor Kurzem ist etwas Auffälliges passiert: Im Chartbild des Euro Stoxx 50 Index wurde eine langjäh- rige Abwärtstrendlinie durchbrochen. Das könnte ein Fehlsignal sein, fundamental wäre ein Anstieg europäischer Aktien relativ zu US- Titeln aber plausibel. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des MSCI Europe lag zuletzt bei 13,7, jenes des S&P 500 bei 16,9 – allein das entsprä- che mehr als 20 Prozent Aufholpotenzial. Natürlich ist offen, ob Europas Sparer die Aktie, von der sie sich vor einer Dekade abge- wandt haben, wiederentdecken. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Anleger, die ohne zu zögern argentinische und griechische Anleihen kaufen und Unsummen in – fundamental betrachtet – zu teure Immo- bilien investieren, für alle Zukunft Aktien von international erfolg- reichen europäischen Unternehmen links liegen lassen? Wer sich für seine Kunden auf die Suche nach interessanten Fonds macht, findet übrigens eine beträchtliche Anzahl erfolgreicher Pro- dukte heimischer und internationaler Investmenthäuser, die auch in der schwierigen Phase seit 2009 gute Ergebnisse liefern konnten. Selbst wenn sich also das jüngste Lebenszeichen der europäischen Aktienmärkte als Strohfeuer erweisen sollte, ist man in diesen aktiv gemanagten Produkten gut aufgehoben. Wir laden Sie wie jedes Jahr um diese Zeit ein, auch 2020 mit führenden Experten und vielen Branchenkollegen auf dem FONDS professionell KONGRESS in Wien über dieses und viele weitere Themen zu diskutieren. Bis dahin wünschen wir Ihnen ein erfolgreiches Jahresendgeschäft und einen erholsamen Jahreswechsel. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Obwohl viele Anleger auf der Suche nach Rendite auch durchaus bedenkliche Investments tätigen, haben sie europäische Aktien bisher nicht für sich entdeckt. Europa vor dem Comeback ? Foto: © Marlene Fröhlich Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi

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