FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2019

torischen Daten durchkämmt und dann auf dubiose Prognosen kommt.“ Überbevölkerung Inzwischen haben sich auch andere Forscher Arnotts Sorge angeschlossen und sprechen von einer weiteren Bevölkerungsexplosion im Faktoruniversum. Zu dieser Gruppe gehören Campbell R. Harvey von der Duke University und Yan Liu, der an der Texas A&M Univer- sity wirkt. In ihrer brandaktuellen Studie „A Census of the Factor Zoo“ haben die beiden Autoren eine „Volkszählung“ im Faktoruniver- sum vorgenommen und kommen mittlerweile auf knapp 400 verschiedene Faktoren (siehe Grafik unten). Sowohl dieAnzahl der Arbeiten, die sich per annum mit Faktoren auseinander- setzen als auch die Zahl der neu entdeckten Faktoren selbst sind demnach in den vergan- genen beiden Jahre auf ein historisches Hoch geklettert. Die Studienautoren rechnen jedoch mit einer Dunkelziffer: „Die Redakteure der Fachzeitschriften fragen Faktoren mit hoher Wirkungskraft nach. DieAutoren erkennen das. Um die Chancen auf eine Publikation zu erhö- hen, suchen die Autoren also nach positiven Resultaten. An dieser Stelle beginnt das Data- Mining, und der Schubladeneffekt tritt ein.“ Unter dem Schubladeneffekt verstehen die Autoren die Tatsache, dass Arbeiten, die nur wenig oder gar nicht erfolgversprechend sind, in ebendieser Schublade landen. Diese Fakto- ren werden also gar nicht veröffentlicht, was wiederum zu statistischen Verzerrungen bei der Vermessung des Faktoruniversums und der korrekten Bestimmung der Eintrittswahr- scheinlichkeiten von Faktoren führt. Das bedeutet wiederum, dass die gemeldete Wir- kungsweise von Faktoren generell überschätzt werden könnte. Doch nicht nur die uni- versitäre Forschung trägt zu einer Über- bevölkerung des Faktoruniversums bei. Auch quantitativ getriebene Fondshäuser verstärken das Baum-Wald-Problem, wobei dieser Tage vor allem Faktoren aus dem ESG-Sektor (Environmental, Social, Gover- nance), also dem erweiterten Nachhaltig- keitsbereich, der letzte Schrei sind. Neben der Kritik an immer neu auftau- chenden Faktoren wird inzwischen auch vereinzelt die Wirkungsweise von bereits lange bekannten klassischen Faktoren in Zweifel gezogen. Gerade der Size-Faktor ist in letzter Zeit immer wieder unter Be- schuss geraten. So haben beispielsweise die Experten von AQR Capital Management im Vorjahr berechnet, dass der Size-Effekt über die Jahre immer geringer wird, de facto also keine Überrendite durch eine derartige Strategie erzielt werden kann. Dem Size-Fak- tor liegt kurz gefasst die Annahme zugrunde, dass kleinere Unternehmen gegenüber größe- ren eine Überrendite erzielen. Spätestens mit dem Siegeszug von Digital-Giganten wie Google oder Amazon könnte sich diese An- nahme in Luft auflösen. Das rüttelt an den Fundamenten der Faktorstrategien, gehört „Size“ doch zu den drei Faktoren, mit denen die Nobelpreisträger Kenneth French und Eugene Fama 1993 die Faktortheorie begrün- det haben. Verflüchtigung Außerdem besteht der Verdacht, dass sich Überrenditen von etablierten Faktoren mit der Zeit verflüchtigen. So hat Arnott gemeinsam mit seinen Kollegen die 16 beliebtesten Fak- toren – darunter auch Value, Size und Momentum – daraufhin untersucht, wie diese vor und nach ihrer Entdeckung performten. Die Ergebnisse sind eigentlich ein wenig gruselig. Denn während die Faktoren einige Jahre vor ihrer Entdeckung gute Ergebnisse ablieferten, flachten die Sondererträge kurz vor ihrer Publikation ab – ein Trend, der sich in den folgenden Jahren immer weiter fort- setzte. Das lässt laut Arnott auf „Data-Mi- ning“ schließen. Darunter versteht man die Suche nach Resultaten, die zu einer zuvor ge- troffenen Annahme passen. Solches Mining kann in den Berechnungen vor der prakti- schen Anwendung funktionieren, zerschellt dann aber an der Realität. Misst man außerdem die Sondererträge die- ser Faktorgruppe von 1963 bis in die Gegen- wart, so hat ein Portfolio, das gleichgewichtet aus den erwähnten 16 Faktoren zusammenge- setzt wurde, einen zehnmal so hohen Ertrag erwirtschaftet wie der Markt. So weit, so gut. Verkürzt man den Beobachtungszeitraum jedoch auf die vergangenen 15 Jahre, so ver- kehrt sich das Bild. Ein Investment in den Markt wäre mehr als zweimal so lukrativ ge- wesen wie ein Faktorinvestment. Bleibt als Schlussfolgerung, dass Faktoren – so sie richtig ausgewählt und berechnet wer- den – eindrucksvolle Erträge liefern können. Das Problem ist, dass immer mehr Marktteil- nehmer in diese Investments strömen, sie also kontinuierlich teurer und somit weniger lukra- tiv werden. Angesichts dieses Trends steigt die Versuchung, sich in innovative oder Nischen- faktoren zu flüchten. Das erscheint aber pro- blematisch, da der Erfolgsdruck in der For- schung dazu zu verleiten scheint, Ergebnisse bewusst oder unbewusst zu manipulieren oder gar unter den Tisch fallen zu lassen. Als Bei- mengung zum Portfolio stellen Faktorstrate- gien – etwa beim Eindämmen von Volatilitäten und Verlusten – eine vielversprechende Kom- ponente dar. Vorausgesetzt, die dahinter ste- hende Mathematik stimmt auch wirklich. HANS WEITMAYR | FP » Die schiere Anzahl legt den Schluss nahe, dass es sich bei vielen Faktoren wahrscheinlich um keine echten Faktoren mit strukturellen Auslösern von Renditen handelt. « Robert Arnott, Research Affiliates Wenn weniger mehr wäre Zahl der in finanzwissenschaftlichen Studien entdeckten Faktoren Von 2016 bis 2018 wurden doppelt so viele Faktoren entdeckt wie in den beiden Jahr zuvor. Die Gesamtzahl der Faktoren stieg damit ebenso auf ein historisches Hoch. Quelle: Arnott et al. 0 5 10 15 20 25 30 400 100 200 300 0 Pro Jahr Kumuliert 2016– 2018 1962– 1964 1965– 1967 1968– 1970 1971– 1973 1974– 1976 1977– 1979 1980– 1982 1983– 1985 1986– 1988 1989– 1991 1992– 1994 1995– 1997 1998– 2000 2001– 2003 2004– 2006 2007– 2009 2010– 2012 2013– 2015 Kumulierte Anzahl der Faktoren Anzahl der neu entdeckten Faktoren Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten 111 www.fondsprofessionell.at | 2/2019

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