FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2019
der Branchen- und Wirtschaftslandschaft wi- derspiegeln, betont Quintin. Ähnlich wie zuvor die Kollegen von MSCI und S&P Dow Jones packen auch die Index- Architekten von FTSE Russell die gesamte Struktur an. Diese gliedert sich in vier Ebe- nen: „Branche“, „Supersektor“, „Sektor“ und „Subsektor“. „Auf der oberen Ebene beför- dern wir die Immobilienwirtschaft zu einer eigenen Branche“, erläutert Quintin. Die Zahl der Branchen wächst damit von zehn auf elf. „Die einst große Korrelation der Immobilien- wirtschaft zu Banken, Finanzdienstleistern und Versicherungen hat abgenommen.“ Diese Entkoppelung sei ein wichtiger Grund, diesen Wirtschaftszweig als eigene Gruppe aufzu- nehmen. Auf den nächsten beiden Ebenen kommt es ebenfalls zu Umbauten. Eine wichtige Ände- rung betrifft die Telekommunikation. Die Barometerbauer führen Festnetz- und Mobil- anbieter in dem neuen Subsektor Telekommu- nikationsdienste zusammen. Diese firmierten bislang unter der Technologiebranche. Die Trennung zwischen Mobil- und Festnetz- diensten weiche sich auf, so die Begründung. Immer mehr dieser Dienste stammen aus einer Hand. Neu geschaffen wird auch der Subsektor Kabelfernsehen, dessen Firmen bis- lang der Medienbranche zugeordnet waren. Der Apfel bleibt am Baum Zudem führt FTSE Russell auch die Tren- nung nach zyklischen und nichtzyklischen Konsumgütern ein, wie sie bei Investoren gebräuchlich ist. Diese Aufteilung hilft Anle- gern, sich dem Konjunkturzyklus entspre- chend defensiver oder offensiver zu positio- nieren. Bisher teilte die ICB-Struktur die Unternehmen nach Verbrauchsgütern und Konsumdienstleistungen ein. Der Wirtschaftszweig Öl und Gas wiederum wird in Energie umbenannt. „Damit erhalten Bereiche wie erneuerbare Ener- gien mehr Aufmerksamkeit“, erläutert die Index-Ingenieurin. Eine Änderung, die beim Umbau von MSCI und S&P Dow Jones viel Beachtung fand, nehmen die ICB-Archi- tekten so aber nicht vor. Schwergewichte wie Alphabet, Apple, Amazon und Co. behal- ten ihren angestammten Platz. Lediglich der Internetbereich in- nerhalb der Technologiebranche erhält eine neue Bezeichnung: digitale Ver- braucherdienstleistungen. Das Argument der Konstrukteure: Auch wenn die Onlineplattfor- men zunehmend Umsätze aus Werbung oder digitalen Produkt- und Dienstleistungsange- boten erzielen, seien die Haupterlösquellen immer noch die Technologie und der Service drumherum. „Die umfassendsten Veränderungen voll- ziehen sich aber bei den Subsektoren“, führt Indexexpertin Quintin aus. „Die neue Struktur eröffnet Investoren eine viel größere Detail- genauigkeit.“ Die Zahl der Subsektoren steigt um 57 auf 173. Entsprechend viele Unter- nehmen werden also in eine andere Heimat umziehen oder neu in die Barometer auf- genommen. Weltweit sind FTSE Russell zufolge mehr als 100.000 Wertpapiere über die ICB-Landkarte klassifiziert. Da FTSE Russell die ICB-Struktur für andere Anbieter wie eben Stoxx oder Nasdaq lizenziert, ist der Eingriff besonders heikel. Das Unternehmen sammelt aus diesem Grund bereits seit 2017 Anregungen und Wünsche der Abnehmer. Ein Ergebnis der Abfrage: „Wir haben die Übergangsphase verlängert“, sagt Quintin. Ab 1. Juli 2019 werden die auf der neuen Struktur beruhenden Indizes ein- geführt. Die alten Barometer laufen ein Jahr lang parallel weiter. Die Messlatten der Rus- sell-Familie werden endgültig im Juni 2020, die der FTSE-Gruppe im September 2020 umgestellt. Stoxx schließt die Renovierung ebenfalls im nächsten Jahr ab. Zeit zum Umgewöhnen Die Umbauten bescheren Produktanbietern viel Arbeit. Fonds und andere Finanzinstru- mente müssen an die Vorbilder angepasst wer- den. FTSE Russell ist bei ETFs der drittgrößte Lieferant der zugrunde liegenden Indizes (sie- he Grafik vorige Seite). Manche Akteure nut- zen solche Arbeiten zur Arbitrage. Sie decken sich vorab mit den Aktien ein, die in einen Index aufsteigen, und verkaufen diese zur Umstellung teurer. Ein gestreckter Übergang wie bei ICB soll solche Phänomene entzerren. Nichtsdestotrotz müssen sich die Emitten- ten letztendlich auf einen Termin festlegen. „Wir nehmen Anpassungen in unseren ETFs typischerweise so vor, wie sie auch der Index- anbieter vollzieht“, sagt Thomas Meyer zu Drewer, Chef des ETF-Hauses Comstage. „Unser Ziel als Anbieter passiver Lösungen ist es, einen Index so genau wie möglich nachzubilden. Eine bessere Entwicklung als der Index ist nicht unser Ziel oder unser Auftrag“, stellt Meyer zu Drewer klar. Genauso sehen das die Produktentwickler von Xtrackers, der ETF-Sparte der DWS: Das Ziel sei stets, Transaktionskosten zu mini- mieren und möglichst nah am Index zu sein. Meist erfolgen die tiefgreifenden Umstellungen zu den regulären Rebalancing- Terminen, bei denen die Ge- wichtung der Unternehmen nach den Vorgaben angepasst und Firmen ausgetauscht wer- den. So wird es an diesen Tagen wohl turbulent an den Börsen zugehen – wie wenn alte Be- wohner aus einem Haus aus- und die Nachfolger einziehen. SEBASTIAN ERTINGER | FP Foto: © FTSE Russell Susan Quintin, FTSE Russell: „Die neue Struktur eröffnet Investoren eine viel größere Detailgenauigkeit.“ Starkes Wachstum Anzahl und verwaltetes Vermögen von ETFs und ETPs Börsengehandelte Indexfonds und -produkte verzeichnen ein immenses Wachstum. Damit rücken auch die zugrunde liegenden Barometer in den Fokus. Quelle: ETFGI | per Ende 2018 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 S Mrd. Dollar Anzahl ETFs und ETPs 152 Mrd. 768 Mrd. Anzahl ETFs und ETPs verwaltetes Vermögen ETFs und ETPs 100 www.fondsprofessionell.at | 2/2019 markt & strategie I indexanpassung
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