FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2018
Hanseatische Freiheit Auch die Hamburger Sparkasse (Haspa) entwickelte vor rund zwei Jahren einen neuen Dress- code für die mehr als 5.000 Mit- arbeiter des Hauses. Diese dürfen heute mit Jeans und Blazer oder Sakko zur Bank kommen – ganz ohne Krawatte. Bevor der neue Kleidungsstil „live“ ging, testete man ihn sechs Wochen lang an elf ausgewählten Standorten. Dabei wurden fast 2.000 Kunden und 200 Mitarbeiter befragt. „Der ein- heitliche Tenor war: Der Mensch ist wichtiger als die Garderobe“, berichtet ein Haspa-Sprecher. „Die Krawatte ist entbehrlich. Was wirklich zählt, sind Aus- strahlung, Kompetenz, Nähe und Individualität.“ Bei der Gestaltung der neuen Kleider- empfehlungen unterstützte die Stilberaterin Christiane Dierks die größte deutsche Spar- kasse. Dierks gilt als Expertin in Sachen Stil- und Imageberatung und coacht auch Füh- rungskräfte und Personen aus dem öffentli- chen Leben (siehe Interview nächste Seite). „Die Kleidung amArbeitsplatz muss generell ausstrahlen: Ich bin hier, um aktiv zum Unternehmenserfolg beizutragen“, so Dierks. „Zu legere Kleidung wirkt gegenteilig.“ T-Shirt oder zerrissene Jeans gelten in der Haspa deshalb weiterhin als unangemessen. Männlichen Anlageberatern, die über eine gewisse Körperfülle verfügen und für die der neue Dresscode oftmals eine Herausforderung darstellt, gibt die Stilberaterin folgenden Tipp: „Versuchen Sie es einmal mit einer dunkel- blauen Hose und einer modernen Weste, am besten in Dunkelblau oder Grau beziehungs- weise Graublau. Dazu ein helles Hemd.“ Genau wie am Titisee ist der Dresscode, der sich intern „Haspa Business Casual“ nennt, eine freiwillige Maßnahme. Die Idee für die neue Kleiderordnung kam von einem Aus- zubildenden. Der regte im Rahmen einer Managementtagung an, dass ein legerer, aber angemessener Kleidungsstil mögliche Barrie- ren zu Kunden abbauen und mehr mensch- liche Nähe auf Augenhöhe erzeugen könne. Skeptische Stimmen „Auf den ersten Blick erscheint es reizvoll, ohne den beengenden Schlips oder den dunk- len Anzug in die Filiale zu gehen. Anderer- seits geben die traditionellen Kleidervorschrif- ten aber auch einen gewissen Grad an Orien- tierung“, sagt ein Berater einer großen Spar- kasse aus Bayern. „Jetzt stehe ich morgens eine Viertelstunde länger vor dem Kleider- schrank und überlege mir, was ich anziehen kann. Außerdem erwarten einige meiner Kun- den einfach von mir, dass ich in Schlips und Kragen vor ihnen sitze. Das strahlt Seriosität aus.“ Seiner Meinung nach bringt die neue Freiheit eine weitere Herausforderung mit sich: Nicht jeder beweise genügend Fein- gefühl, um zu wissen, was zusammenpasst. „Es gibt einzelne Kollegen, denen die neue Freiheit nicht gut tut. Die gewählten Kombi- nationen sind sowohl von der Farbzusam- menstellung als auch vom Kleidungsstil sehr gewöhnungsbedürftig“, klagt der Berater. Neue Umgebung Die Mitarbeiterin einer großen deutschen Landesbank, die im Kreditbereich arbeitet, sieht die neue Freiheit ebenfalls mit Skepsis: „Der Spruch ‚Kleider machen Leute‘ gilt meiner Meinung nach immer noch. Kleidung macht obendrein ein gewisses Auftreten. Und es kommt zudem darauf an, ob jemand Kunden- kontakt hat oder nicht.“ Wenn es zu locker wird, gäbe es einAkzeptanzproblem. Überdies komme es auf das Gegenüber an. „Bei einem Kunden aus der New Economy kann man schon einmal den Schlips weglassen, bei einem Siemens-Vorstand würde ich dem Kunden- betreuer raten, ihn zu tragen.“ Schlimmer als ‚Casual‘ sei es jedoch, wenn Kollegen mit einem über 30 Jahre alten Anzug rumlaufen. Die Haspa bettet den neuen Dresscode gleich in einen größeren Rahmen ein. Sie be- trachtet ihn als Ergänzung des neuen Filialkonzepts, in dem die Zweigstellen zu Treffpunkten für die Menschen im Stadtteil wer- den sollen. Im vergangenen Jahr ist die erste dieser runderneuerten Geschäftsstellen, die im Übrigen mit einem richtigen Küchentisch aufwartet, in Hamburg-Niendorf eröffnet worden. Dort können sich die Bewohner des Veedels miteinander unterhalten und ver- netzen. In den „Filialen der Zu- kunft“, von denen es mittlerweile mehr als ein Dutzend gibt, bietet die Haspa lokalen Unternehmen zudem kostenfreie Ausstellungs- flächen für ihre Produkte und Dienstleistungen an. „Damit nut- zen wir die Chance, ein neues Erscheinungsbild zu zeichnen und an unserer Unternehmensphilosophie des menschlichen Bankings neu auszurichten“, so der Haspa- Sprecher. Dazu passe dann auch der legerere Kleidungsstil. Lockerheit an der Wall Street Das Umdenken in Sachen Kleidungsstil hat mittlerweile sogar einige große amerikanische Investmentbanken erreicht. So erlaubt das Wall-Street-Haus JPMorgan seinen Angestell- ten seit Neuestem, „legere Geschäftskleidung“ zu tragen. Goldman Sachs lässt die Angestell- ten selbst entscheiden, welches Outfit sie für angemessen halten. Die neue Freiheit gilt je- doch nur für Computerspezialisten, die man im Unternehmen halten und nicht an Konkur- renten aus dem Silicon Valley verlieren möch- te. Ansonsten ist die Branche eher konservativ aufgestellt. Generell gelten im Investmentban- king in Kleiderfragen ungeschriebene Geset- ze, an die sich Mitarbeiter halten sollten, wenn sie Karriere machen möchten. So sind bei- spielsweise Hosenträger hohen Führungskräf- ten oder äußerst langjährigen Mitarbeitern vorbehalten. Zudem sind Siegelringe oder sonstiger protziger Schmuck beim ambitio- nierten Nachwuchs nicht gern gesehen. Für Banker sollten neben einem passenden Outfit jedoch noch andere Werte zählen. Neben dem guten Fachwissen gehört dazu auch die Persönlichkeit des Beraters. Das Nachwuchsforum der Sparkasse Hoch- schwarzwald bringt es auf den Punkt: „Für Servicequalität und Herzlichkeit gibt es keine App, und es hilft auch kein noch so guter Style-Guide.“ MARCUS HIPPLER | FP Foto: © Foto Leofa | Karlheinz Borho Auch der Vorstand der Sparkasse aus Titisee-Neustadt trägt keine Krawatte mehr: Michael Frech (stellvertretender Vorstandschef, l.) und Jochen Brachs (Vorstandschef, r.). 345 www.fondsprofessionell.de | 4/2018
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