FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2018

den. Wie realistisch das ist, ist kaum zu über- prüfen, es zeigt sich immer wieder, dass Pro- zessfinanzierer in bester Werbemanier gern mit hohen Zahlen um sich werfen. So berich- ten diese auch, dass am Markt nach wie vor von Maklern, Agenten oder Vermögensbera- tern, die einst Lebensversicherungen vermit- telt hatten, tatkräftig Kundenbestände in „Tau- sender-Paketen“ an die Schadensfinanzierer geliefert werden – um dort ein zweites Mal für ihre Dienste entlohnt zu werden. Eine Praxis, die von Versicherungen heftig kritisiert wird. Sie drohen solchen Vermittlern mit Kündigung der Geschäftsbeziehung. Anschei- nend schreckt das nicht ab. Denn auch bei diesen „Zuträgern“ habe so kurz vor Tor- schluss noch einmal eine Dynamik eingesetzt, wie Ender sagt. Die Rücktrittsthematik wird die Versicherungen also vor Gericht noch län- ger beschäftigen. Europakonform oder nicht? Eine äußerst unangenehme Ungewissheit besteht für den gesamten Versicherungsmarkt außerdem auch deshalb, weil rein gesetzes- technisch längst nicht das letzte Wort gespro- chen ist: Das Landesgericht Salzburg, das in einem Rücktrittsstreit als Berufungsgericht entscheiden sollte, ist auf Nummer sicher ge- gangen und hat im Mai dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei offene Rechts- fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Da- durch könnte sich das Blatt noch einmal wen- den: In dieser Rechtssache (22 R 80/18w) will das Landesgericht erstens wissen, ob es auch Falschbelehrung ist, wenn der Hinweis fehlt, dass beim Rücktritt keine bestimmte Form- vorschrift einzuhalten ist. Zweitens fragt das Gericht, ob ein Kunde bei fehlerhafter Beleh- rung auch dann noch von einer Lebenspolizze zurücktreten kann, wenn er selbst den Vertrag bereits gekündigt oder rückgekauft hat. Was für Außenstehende klingt wie eine echte Exoten-Problematik, lässt die Versiche- rungsbranche zittern. Denn der EuGH war es, der mit einem Urteil zu ähnlichen Fragen bereits Ende 2013 den Sektor in die heute missliche Lage gebracht hat: Im Fall eines deutschen Versicherungsnehmers (Endress ge- gen Allianz) hatte das Gericht damals geur- teilt, dass es nicht rechtens ist, wenn bei feh- lender Belehrung bereits nach einem Jahr das Rücktrittsrecht erlischt. Überinterpretation Wie FONDS professionell bereits Anfang 2018 berichtete, legte der Versicherungsrechts- experte Attila Venyves offen, dass dieses EuGH-Urteil in Österreich und Deutschland überinterpretiert wurde: Die Obersten Gerich- te in den Ländern hätten „fehlende“ und „feh- lerhafte“ Belehrung gleichgesetzt und gleich- zeitig das Urteil so ausgelegt, dass der Rück- tritt dann unbefristet zusteht, was aber der EuGH-Spruch nicht explizit sagt. Ungeachtet dessen hat der OGH in Österreich 2015 mit Verweis auf den EuGH einem Versicherungs- nehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht we- gen fehlerhafter Belehrung zugesprochen. Dass nun erneut der EuGH amWerk ist, trübt die Laune, die angesichts der lang erhofften Gesetzesnovelle in Österreich eigentlich auf- kommen könnte. Die Frage, ob man nicht zuerst höherge- richtliche Entscheidungen abwarten hätte sol- len, ist sicher berechtigt. ÖVP-Finanzsprecher Karlheinz Kopf, dessen Partei im Herbst 2017 gemeinsam mit der alten Koalitionspartei SPÖ und heuer zwei weitere Anläufe mit der neuen Partnerin FPÖ brauchte, um das Gesetz durchzubringen, wehrte die Frage im Zuge der Novellierung ab und verwies auf „mehrere Expertengutachten“, die die EU-Konformität bestätigten. Ein Durchgreifen sei nötig gewe- sen, denn die Lebensversicherung dürfe nicht zum „Spekulationsobjekt mit Austrittsjoker werden“. Womit er wohl im Sinne der Allge- meinheit den Punkt trifft. Die Rücktritte gehen nämlich am Ende zulasten des Kollektivs. So- mit wäre ein schneller Schlussstrich auch aus Konsumentensich sinnvoll. Keine Provision im ersten Jahr! Ein für Vermittler interessanter Aspekt des neuen Gesetzes ist übrigens in der ganzen Berichterstattung um den Streit zwischen Konsumentenanwälten und Versicherungen untergegangen: Die Abschlusskostenvertei- lung wurde neu geordnet. Der Kunde erhält ja im ersten Jahr seine volle Prämie zurück. Analog dazu hat der Vermittler nun keinen Anspruch auf Provision bei einer Kündigung im ersten Jahr. Nach dem ersten und bis zum Ende des fünften Jahres gilt hingegen wie bis- her, dass die Provision auf fünf Jahre umge- legt und anteilsmäßig nach Vertragslaufzeit ausbezahlt wird (§ 176 Abs. 5 und 6 Versiche- rungsvertragsgesetz, siehe Kasten). Erwäh- nenswert ist das deshalb, weil der bestehende Fünfjahreszeitraum eigentlich in allen Vorgän- gerversionen der Novelle gekippt worden war: Die ursprünglichen Pläne sahen vor, dass beim Rückkauf die Abschlusskosten auf zehn Jahre verteilt werden. Diese hätte den Konsu- menten höhere Rückkaufswerte gebracht, gleichzeitig hätte ein vorzeitiger Ausstieg auch die Provisionen der Vermittler geschmälert. EDITH HUMENBERGER-LACKNER | FP ÖVP-Finanzsprecher Karlheinz Kopf sagt, die Lebens- versicherung darf nicht zum Spekulationsobjekt werden. Hinweis Musterbelehrung Falschbelehrungen über das Rücktrittsrecht dürf- ten endgültig der Vergangenheit angehören. Denn mit der Gesetzesnovelle wurde eine Musterbelehrung eingeführt. Diese Musterbelehrung ist direkt in der Gesetzesänderung, die im Bundesgesetzblatt am 14. August veröffentlicht wurde, als „Anlage A“ ent- halten: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/ BGBLA_2018_I_51/BGBLA_2018_I_51.html „Kein Provisionsanspruch bei Kündigung im ersten Jahr“ § 176 Abs. 6 VersVG: „Der Vermittler hat in den Fällen des Abs. 5 erster Satz (Kündigung erstes Jahr, Anm.) keinen Anspruch auf Provision samt Nebengebühren. Der Vermittler hat in den Fällen des Abs. 5 zweiter Satz (Kündigung nach erstem und vor Ende des fünften Jahres, Anm.) Anspruch auf jenen Teil der Provision samt Nebengebühren, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) entspricht. Eine Vereinbarung, wonach dem Vermittler ein höherer Provisionsanspruch zusteht, ist unwirksam. Der Ver- mittler hat dem Versicherer eine Provision insoweit zurückzuzahlen, als sie das Ausmaß des anteiligen Provisionsanspruchs übersteigt. Die voranstehenden Bestimmungen sind auf Vereinbarungen, nach denen der Versicherungsnehmer die Provision unmittelbar dem Vermittler zu leisten hat, sinngemäß anzuwenden.“ 248 www.fondsprofessionell.at | 3/2018 steuer & recht I lebensversicherungen Foto: © Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS

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