FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2017
solche spekulative Blase erken- ne ich derzeit allerdings nicht. Es gibt nicht einzelne Sektoren mit völlig übertriebenen Kur- sen. Eher ist es so, dass alles teuer geworden ist. Darum würde es wenig Sinn ergeben, sich von seinen Qualitätsaktien zu verabschieden – die anderen Titel sind ebenfalls hoch be- wertet. Ist diese hohe Bewertung denn gerechtfertigt? Das ist die alles entscheidende Frage. Wir rechnen damit, dass die Zinsen auf Jahre hinaus niedrig bleiben werden. Das Wachstumspotenzial der Indu- strienationen ist deutlich gerin- ger als früher, schon aufgrund der Demografie. Dazu kommen die hohen Schulden. Bereits vor der Finanzkrise 2008 waren die Schulden zu hoch, seither sind sie weiter gestiegen – nur verlagert vom Privat- auf den Staatssektor. Die Wirtschaft und die Staaten könnten keine deutlich höheren Zinsen vertra- gen. Die US-Notenbank Fed beginnt zwar, die Zinsen leicht zu erhöhen, dennoch werden die Sätze auch in den Vereinigten Staaten sehr niedrig bleiben. Deshalb sehe ich keinen Grund, warum die hohen Bewertungen am Aktienmarkt unter Druck kommen sollten. Der Zins spielt in allen Aktienbewertungs- modellen eine Rolle. Solange er niedrig bleibt, sehen Aktien nicht zu teuer aus. Sie hatten die schlechten Wachstumsaus- sichten schon erwähnt. Das spricht nicht gerade für Aktieninvestments. Ich habe auch nicht behauptet, dass mit Aktien in den kommenden Jahren viel Geld zu verdienen sein wird. Auf Sicht von zehn Jahren sind unserer Meinung nach drei bis fünf Prozent per annum realistisch – inklusive Dividende. Das klingt wenig im Vergleich zu den acht oder neun Prozent der Vergangen- heit, ist aber deutlich attraktiver als alles, was mit Anleihen zu verdienen ist. Wenn es eine spekulative Blase gibt, dann eher bei den An- leihen. Die Anlegerschutzklauseln neu emit- tierter Papiere werden immer schlechter. Man- che Klauseln sind für Investoren so unvorteil- haft – es wundert mich manchmal, dass man solche Anleihen überhaupt begeben darf. Da ist mir eine Nestlé-Aktie lieber: Auch ein sol- cher Titel kann in einer Krise mal einbrechen, aber das Geld ist nicht für immer weg. Sie hatten die Schuldenspirale bereits erwähnt. Kommen wir da jemals wieder raus? Auf jeden Fall nicht auf bequeme Art und Weise. Die eleganteste Lösung wäre ein kräf- tiges Wirtschaftswachstum – doch das ist nicht in Sicht. Inflation ist eine andere Mög- lichkeit, aber auch an dieser Front tut sich wenig, egal was die Notenbanken auch ver- suchen. Denkbar sind weiterhin Schulden- restrukturierungen: Wir hatten in der Euro- zone ja schon einen Schuldenschnitt, ganz unwahrscheinlich ist dieses Szenario also nicht. Die letzte Lösung wäre eine Währungs- reform. Allerdings dürfen wir nicht unter- schätzen, welche Macht die Zentralbanken und die Politik haben, daher kann sich die Spirale noch eine ganze Weile lang weiter in die Höhe schrauben. In Japan besitzt die Notenbank schon 40 Prozent der Staatsschul- den. Eines Tages sind es vielleicht 100 Pro- zent – und dann werden die Schulden annul- liert. Denkbar ist das. Damit wäre die Krise aber nur scheinbar gelöst. Dann würden die Menschen das Vertrauen in das Geld verlieren, und da- mit wäre das System am Ende. Erste Anzeichen dafür finden sich ja schon. Das erklärt die Nachfrage nach Gold oder auch Phänomene wie Bitcoin. Wir haben uns viel mit der Finanzgeschichte beschäftigt. Eine Situation wie heute, in der die Zinsen über so lange Zeit so niedrig waren, gab es noch nie, daher kennt niemand die Lösung. Klar ist nur, dass die extremen Niedrigzinsen früher oder später zwangsläufig zu Ver- werfungen in der Marktwirtschaft führen. Wir bewegen uns also in einem sehr risikoreichen Umfeld – in dem es dennoch richtig ist, in Aktien zu investieren. Denn ein gut geführtes Unternehmen kann auch eine schwerwiegen- de Wirtschaftskrise überleben. Vielen Dank für das Gespräch. BERND MIKOSCH | FP 85 www.fondsprofessionell.at | 4/2017 » Klar ist, dass die extremen Niedrigzinsen früher oder später zwangsläufig zu Verwerfungen in der Marktwirtschaft führen. « Guy Wagner, BLI
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