FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2017

121 www.fondsprofessionell.at | 4/2017 gesamten 100 Jahre aussitzen. Das ist in der Theorie korrekt, für private Anleger und Sparer, die über einen eingeschränkteren In- vestmenthorizont verfügen als Institutionelle, stehen aber deutliche Risiken im Raum. Wie immer gilt: je höher die Rendite, desto höher das Risiko. Liquiditätsrisiko Zu diesen Unwägbarkeiten zählt neben dem herkömmlichen Kursrisiko die mangeln- de Liquidität solcher Papiere. Ein Blick auf das Orderbuch der Wiener Börse zeigt, dass die hundertjährige Anleihe an diversen Tagen überhaupt nicht gehandelt wird. Kommt es also zu einem Kursrutsch, kann der Anleger trotz Verkaufsorder auf seinem Bond sitzen bleiben oder muss ihn zu einem deutlich nied- rigeren Preis abstoßen. Ein solches Szenario kann schneller eintreten, als einem lieb ist – etwa wenn das Zinsniveau steigt. Ob und wann das sein wird, lässt sich seriös nicht vor- hersehen. Vor einem Kauf muss man sich aber nur die Frage stellen, ob man annimmt, dass die Zinsen irgendwann in den kommen- den 100 Jahren höher sein werden als heute. Sollte diese mehr als wahrscheinliche Ent- wicklung eintreten, erleidet man beim Verkauf der lang laufenden Zinstitel unweigerlich Kursverluste. Und weil die Laufzeit so extrem lang ist, fallen auch diese potenziellen Kursverluste ex- trem aus. Ein Beispiel verdeutlicht das: Bei einem Papier mit 100 Jahren Laufzeit und zwei Prozent Kupon müssten die Zinsen nur auf drei Prozent steigen, um den Kurs der An- leihe auf rund 68 Prozent abstürzen zu lassen. Steigt die Rendite auf vier Prozent, halbiert sich der Kurs. Mit solchen heftigen Kursaus- schlägen selbst bei moderaten Zinsänderungen rechnen wohl die wenigsten Anleger. Jahrhundertrisiko Es gibt aber nicht nur das Zinsände- rungsrisiko. Eine Zeitung hat anlässlich der 100-jährigen österreichischen Anlei- he darauf hingewiesen, dass das Land noch gar nicht so lange existiert. Zur besseren Einschätzung von Chancen und Risiken lohnt es sich deshalb, ein wenig in den Archiven zu stöbern, bei- spielsweise zurück bis ins Jahr 1995. Damals wurde eine Anleihe der Atchi- son, Topeka & Santa Fe Railroad fällig. Bei dem Unternehmen handelte es sich um eine der traditions- und erfolgreich- sten Eisenbahnlinien der Vereinigten Staaten. Die Anleihe selbst war 114 Jahre zuvor im Jahr 1881 emittiert worden. Obwohl die Santa Fe Railroad im Jahr 1995 in einer Fusion mit Burlington Northern aufgegangen ist, erhielten die Nachfahren der ersten Gläu- bigergeneration im selben Jahr den vollen Nennwert von 1.000 US-Dollar je Schein aus- gezahlt. Also alles gut gegangen, oder? Nicht ganz, denn nur 14 Jahre, nachdem die Eisenbahnlinie ihre Anleihe begeben hatte – also 1895 –, stürzte ihr Kurs nach einer Re- strukturierung der Schulden und Sorgen um den Fortbestand des Unternehmens auf 425 US-Dollar ab. Die Verzinsung wurde herab- gesetzt und konnte nach dem neuen Regle- ment auch komplett ausgesetzt werden. Die Laufzeit wurde von 30 auf hundert Jahre verlängert. Ein vermeintlich sicheres Papier hatte nahezu über Nacht rund zwei Drittel an Wert verloren. Die meisten Gläubiger, die bis dahin noch die Nerven bewahrt hatten, warfen selbige weg, als Gerüchte über eine aberma- lige Schuldenneuordnung die Runde machten. Der Bond fiel von ursprünglich 1.000 auf 285 US-Dollar. In 100 Jahren passiert viel Doch das Glück der Company wendete sich. Ausgerechnet während der großen De- pression wurde das Unternehmen als sicherer Hafen gesehen, der Bond war wieder 1.000 Dollar wert. Dann 1933: Bis zu diesem Jahr war die Auszahlung der 1.000 US-Dollar an Goldmünzen zum jeweils gültigen Goldpreis gebunden. Franklin D. Roosevelt erklärte Ver- einbarungen dieser Art für gesetzwidrig. Durch das Kippen derartiger Regelungen hoffte der US-Präsident, den US-Dollar zu schwächen und so die Wirtschaft anzukurbeln. Das hatte massive Auswirkungen auf die Gläubiger. Denn als die Anleihe emittiert wurde, lag der Wert von einer Unze Gold bei 20,7 US-Dollar. Als die Schulden 1995 fällig wurden, notierte der Preis bei 385 US-Dollar. Wäre die Goldpreisbindung nicht gefallen, wäre jeder Schuldschein statt der ausbezahl- ten 1.000 US-Dollar 18.600 US-Dollar wert gewesen. Der natürliche Feind Staatliche Eingriffe stellen aber nicht die einzige Art dar, auf die Eigentümer von ultra- langen Schulden enteignet werden können. Der natürliche Feind jedes Bond-Halters lau- tet: Inflation. Die sorgte über die Laufzeit der Santa-Fe-Railroad-Anleihe dafür, dass die Kaufkraft eines US-Dollar im Jahr 1881 über die Jahre bis zur Fälligkeit auf sieben Cent schrumpfte. Der Anleihenkäufer bei Emission hätte sich von 1.000 US-Dollar wohl noch ein Haus kaufen können. Sein Nachfahre, der das Geld 1995 zum Laufzeitende ausbezahlt be- kam, konnte davon mutmaßlich nur noch eine Miete zahlen. Trotz aller Risiken sieht es aber aus den eingangs erwähnten Gründen so aus, als wür- de „es kurzfristig zu keiner Abkehr vom Trend zu langen bis ultralangen Laufzeiten kommen“, wie die Analyseabteilung der Nord/LB prognostiziert. Dabei scheint es letz- ten Endes egal zu sein, ob der Emittent Öster- reich heißt oder ob es sich um dann doch recht pleiteaffine Staaten wie Argentinien handelt – Renditen von zuletzt 6,85 Prozent, wie sie das südamerikanische Land anbietet, erscheinen zu verlockend (siehe Grafik diese Seite). Seriöse Prognosen schwierig Das Risiko eines Zahlungsausfalls ist bei dem südamerikanischen Land kurz- fristig natürlich deutlich höher als bei der Alpenrepublik. Allerdings hat man bereits nach einer überschaubaren An- zahl an Jahren die eingesetzte Summe über die Kuponzahlungen zurückerhal- ten. Zumindest auf dem Papier: Wech- selkursrisiken und Inflation sind über einen derart langen Zeitraum nicht seriös zu prognostizieren. Eine Überle- gung wert sind Ultra-Langläufer also nur für hoch informierte Anleger, die außerdem über hohe freie Mittel ver- fügen, sodass ein Notverkauf zu un- günstigen Marktbedingungen de facto ausgeschlossen werden kann. HANS WEITMAYR | FP Die 100-jährige Verlockung Rendite argentinischer Staatsanleihen mit 100 Jahren Laufzeit Die Jagd nach Rendite lässt im aktuellen Niedrigzinsumfeld die Nachfra- ge nach Anleihen mit ultralangen Laufzeiten steigen. Quelle: Bloomberg 6,80 7,00 7,20 7,40 7,60 7,80 8,00 % 2017 Juni August Juli September Okt. Argentinische Staatsanleihe, Kupon 71/8, fällig: 06/28/2117

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