FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2016

4 www.fondsprofessionell.de | 4/2016 brief der herausgeber D er Weltspartag hat uns auch 2016 wieder einige Statistiken be- schert, die bei jedem Finanzmarktakteur Depressionen auslö- sen könnten. Das Geldvermögen deutscher Haushalte besteht laut einer Allianz-Studie zu weniger als 20 Prozent aus Aktien bezie- hungsweise Fonds, in Österreich halten Anleger laut Nationalbank gar nur elf Prozent ihrer 610 Milliarden Geldvermögen in Aktien und Fonds. Dass die Sparer in beiden Ländern die Potenziale der Kapital- märkte nicht nutzen, obwohl es dazu eigentlich keine Alternativen mehr gibt, hat natürlich eine zentrale Ursache: Angst. Es ist die Angst, Verluste zu erleiden, Teile des Vermögens oder vielleicht sogar das ganze Ersparte zu verlieren. Und diese Sorge ist ebenso menschlich wie irrational. Woher kommt diese Angst? Vermutlich resultiert sie aus den wenigen Erfahrungen, die der deutsche Sparer mit Aktien gemacht hat – bei vielen waren das die Telekom und der Neue Markt. Wer davon traumatisiert ist, gleicht einem Führerscheinneuling, des- sen erster Kontakt mit dem Autofahren eine Runde auf dem Nür- burgring in einem Formel-1-Wagen unter Vollgas war. Wer so etwas überlebt, fährt anschließend nur noch Straßenbahn. Repräsentativ war diese Ersterfahrung aber nicht, denn über die üblichen Sparperioden von zehn und mehr Jahren hinweg ist es gar nicht so einfach, mit Aktien Verluste zu erleiden. Bei vernünftig diversifizierten langfris- tigen Investments gibt es nahezu kein Risiko beziehungsweise das, was Privatanleger darunter verstehen. Der „normale“ Mensch hat auch keine Angst vor Wertschwankungen, sondern vor absoluten, un- wiederbringlichen Verlusten. Dass er diese aber befürchtet, liegt nicht daran, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten, sondern daran, dass er das Phänomen der Wertentwicklungsschwankungen beobach- tet und daraus die falschen Schlüsse zieht. Seriöse Berechnungen be- legen, dass man mit Aktien, beziehungsweise mit Aktienfonds, nach zehn oder mehr Ansparjahren kaum ein Minus befürchten muss. Na- türlich ist es bei ungünstigem Timing möglich, dass man auch nach zehn oder mehr Jahren ohne nennenswerten Gewinn aussteigt. Wer seinen Fondssparplan heute startet und 2026 tatsächlich renditelos beendet, steht dann aber nicht schlechter da als der Sparbuchkunde – immerhin bestand ja wenigstens die Chance, Erträge zu erzielen. Wie fängt aber jede Anlageberatung bei uns an? Mit der Frage nach der „Risikobereitschaft“ des Sparers. Und das ist im Grunde schon falsch, allein diese Überprüfung der „Risikobereitschaft“ suggeriert, dass man Geld verlieren könnte, beziehungsweise mit einiger Wahr- scheinlichkeit verlieren wird. Dass der Gesetzgeber heute jeden Be- rater dazu zwingt, „Risiken“ möglichst drastisch darzustellen, schadet den Sparern mehr, als es sie schützt. Wesentlich sinnvoller als die institutionalisierte Angstmacherei wäre die Frage nach der Geduld beziehungsweise der Wahrscheinlichkeit, dass Anleger ihr Investment vor der ursprünglich geplanten Zeit auflösen müssen. Denn nur in diesen Fällen wird aus der Wertentwicklungsschwankung ein realer Verlust. Wenn auch nur eine geringe Gefahr besteht, dass der Sparer sein Geld in drei, fünf oder sieben Jahren dringend und unaufschieb- bar benötigen wird, hat er amAktienmarkt nichts verloren. Der Preis für diese Liquidität wird aus heutiger Sicht die nominale Ertragslosig- keit beziehungsweise der reale Kaufkraftverlust sein. Nun lautet die Entscheidung in Realität aber nicht: „Investment oder kein Invest- ment?“, sondern „Alles, oder nur einen Teil investieren?“ Was heißt das nun für die Finanzberatung? Sie muss sich vor allem auf die Klärung der „Geduldsfrage“ konzentrieren und imAnschluss diese Geduld unterstützen. Wie erfahrene Berater wissen, klingt das einfacher, als es ist. Das Problem eines panischen Menschen ist eben meist nicht der Auslöser der Panik, sondern die Panik selbst. Gibt es dafür ein Hilfsmittel? Durchaus, es sind die langfristigen Chartbilder der Aktienindizes, die belegen, dass bisher auf jeden Crash ein neues Hoch folgte, das historische Höchststände übertraf. Über einen be- liebigen 15-Jahres-Zeitraum zwischen 1970 und 2015 lag der annua- lisierte reale Wertzuwachs des S&P 500 Aktienindex in US-Dollar bei durchschnittlich 9,8 Prozent – im besten Fall waren es 17,1 Pro- zent und im ungünstigsten Fall 2,5 Prozent. Die Standardabweichung lag dabei bei bis zu 21,6 Prozent, aber auch in den schwankungs- ärmsten 15 Jahren waren es 12,3 Prozent. Ohne Schwankungen geht es eben nicht, man muss nur lernen, damit zu leben. Wir hoffen wie jedes Jahr, dass Sie sich Ende Januar in Mannheim zu uns gesellen, bis dahin wünschen wir allen Lesern ein erfolgrei- ches Jahresendgeschäft und einen erholsamen Jahreswechsel. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Die gesetzlich erzwungene Verpflichtung, ständig über „Risiken“ zu reden, schadet den Anlegern mehr, als sie sie schützt. Reden wir über Geduld Foto: © Marlene Fröhlich Gerhard Führing, Mamdouh El-Morsi

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