FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2016

fonds & versicherung I jochen ruß | ifa 312 www.fondsprofessionell.de | 4/2016 Foto: © Ifa Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften, Ulm E s gibt wenige Wissenschaftler, die den Spagat zwischen seriöser For- schung und allgemein verständli- cher Darstellung meistern. Jochen Ruß gehört zweifelsohne dazu. Der promovier- te Mathematiker ist Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissen- schaften (Ifa) in Ulm und Professor an der dortigen Universität. Ruß’ Forschung wur- de mehrfach ausgezeichnet, verschiedene Wissenschaftspublikationen schätzen sei- ne Expertise als Gutachter. Dennoch ist er sich nicht zu schade, Vorträge vor breitem Publikum zu halten. FONDS professionell traf Ruß auf dem „Zukunftsforum“ der DVAG in Leipzig. Herr Ruß, die Lebensversicherung muss Schläge von allen Seiten einstecken – egal ob von der Politik, den Regulie- rungsbehörden, den Verbraucherschüt- zern oder den Medien. Hat das Produkt überhaupt noch eine Zukunft? Jochen Ruß: Ja, und zwar eine sehr attraktive! Bitte? Die Branche ächzt unter rekord- niedrigen Zinsen. Wie können die Poli- cen da noch attraktiv sein? Nicht mehr primär als Sparprodukt fürs Alter, sondern um sich ein lebenslanges Einkommen zu sichern. In einer Welt ohne Zinsen kann eine Versicherung all das bieten, was früher möglich war – mit einer Ausnahme: Es ge- lingt nicht mehr, Geld garantiert zu vermeh- ren. Aber das schaffen Investmentfonds oder Bankprodukte auch nicht mehr. Andere wich- tige Funktionen sind zwar teilweise wegen der niedrigen Zinsen teurer geworden, aber nach wie vor möglich, etwa die Absicherung bio- metrischer Risiken wie Berufsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit oder die Umwand- lung von Kapital in eine lebenslange Rente. Darauf haben die Versicherer quasi immer noch ein Monopol. Früher haben viele eine Lebensversiche- rung vor allem deshalb gekauft, weil der Vermittler ihm versprechen konnte, dass sich sein Kapital binnen 20 oder 30 Jah- ren verdoppeln wird – risikofrei. Dass sich das Geld garantiert vermehrt, ist ein Wunsch der allermeisten Kunden, auch wenn das gar nicht ihrem eigentlichen Bedarf ent- spricht. Der wirkliche Bedarf liegt beispiels- weise darin, die eigene Arbeitskraft abzusi- chern. Fragen Sie einen Kunden mal, ob er ein Kunstwerk, das eine Million Euro wert ist, versichern würde. Da würde wohl jeder zustimmen. Dass die eigene Arbeitskraft – gerade in jungen Jahren – oftmals viel mehr wert ist, verdrängen die meisten. Genauso wichtig ist der Bedarf eines lebenslangen Einkommens imAlter. Also eine Versicherung gegen das Risiko, länger zu leben, als das Ersparte reicht. Eine Frage: Schalten Sie den Fernseher bei einer Fußballübertragung immer nach der ersten Halbzeit aus? Nein. Wäre auch komisch, denn meist entscheidet sich in der zweiten Halbzeit, wer das Spiel gewinnt. Trotzdem verhalten sich viele Men- schen beim Vermögensaufbau exakt so. In der ersten Halbzeit ihres Lebens legen zwar viele Geld fürs Alter zurück. Die Frage, wie sie sicherstellen, dass sie in der zweiten Halbzeit vom Ersparten den Lebensstandard sichern können, blenden sie aber aus. Die Tatsache, dass es eine Verlängerung geben könnte, auch. Genau. Das größte Problem der Lebens- versicherung ist also nicht der Niedrig- zins, sondern die Tatsache, dass der Wunsch des Kunden selten mit dem eigentlichen Bedarf übereinstimmt. Ich sa- ge immer: Ein schlechter Verkäufer gibt seinen Kunden, was sie wollen. Ein guter Berater dagegen erklärt ihnen, was sie wirklich brauchen. Die schlechten Verkäu- fer werden wegen der niedrigen Zinsen vom Markt verschwinden, denn eine garantierte Geldvermehrung können sie jetzt nicht mehr anbieten. Die guten aber werden mehr zu tun haben als je zuvor. Schafft es ein guter Berater auch, seine Kunden davon zu überzeugen, auf eine Garantie zu verzichten? Garantien per se sind nichts Schlechtes, und ich möchte betonen, dass sich die meisten Versicherer nicht komplett von Garantien ver- abschieden, wie oft fälschlicherweise behaup- tet wird, sondern dass sie vielmehr alternative Modelle entwickeln. Die Kunst wird sein, dem Kunden nur noch die Garantie zu geben, die er unbedingt benötigt. Ein Weglassen von nicht benötigten Garantien erhöht nämlich das Renditepotenzial. Dies gilt sowohl für die Höhe als auch für die Form der Garantie. Eine permanente Kapitalgarantie brauchen die we- nigsten, ein garantiertes lebenslanges Einkom- men dagegen fast alle. Was die Höhe der Garantie anbelangt, sollte sie als Absicherung des schlimmsten Falls verstanden werden. Sie haben nun schon wiederholt betont, wie wichtig ein garantiertes lebenslanges Einkommen ist. Warum ist dieser Punkt so entscheidend? Mein Lieblingsbeispiel ist die Französin Jeanne Calment. Sie kam 1875 zur Welt und starb erst 1997, imAlter von 122 Jahren. Als sie 90 Jahre alt war, verkaufte sie ihre Woh- nung gegen eine lebenslange Leibrente an einen Rechtsanwalt. Der dachte, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Doch da hatte er sich verrechnet: Er zahlte über die Jahre hin- weg ein Vielfaches des Wohnungswertes an „Das Spiel entscheidet sich in » Ein schlechter Verkäufer gibt seinen Kunden, was sie wollen. Ein guter Berater dage- gen erklärt ihnen, was sie wirklich brauchen. « Jochen Ruß, Ifa Jochen Ruß , Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften , über die Zukunft der Lebensversi- cherung und die Frage, wie Berater ihre Kunden von der Wichtigkeit einer lebenslangen Rente überzeugen können.

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