FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2015

4 www.fondsprofessionell.at | 4/2015 brief der herausgeber N ichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen sei, stellte Victor Hugo schon im 19. Jahrhundert (jedenfalls sinn- gemäß) fest. Und dass er damit recht hatte, erleben wir in die- sen Tagen auch in der Finanzdienstleistungsindustrie. Das Internet, das den Handel, den Tourismus und die Medienbranche seit Jahren regelrecht aufmischt, wirkt sich nun auch auf die Banken- und Ver- sicherungslandschaft aus. Warum gerade jetzt? Schon Mitte der 1990er-Jahre konnte man von Topmanagern der IT-Branche hören, dass Banken und Versicherer beträchtliche Chancen verpassen, wenn sie nicht schnellstmöglich damit beginnen, ihre Dienstleistungen auch via Internet zu vermarkten. Zum Glück waren die meisten der An- gesprochenen zu konservativ oder zu schlau, diese Einladung anzu- nehmen. Denn im ersten Schritt hätten damit nur die Programmierer Geld verdient. Das Internet war damals nicht annähernd so verbreitet, wie dies heute der Fall ist. Die Hardware war vielfach nicht leis- tungsfähig genug beziehungsweise gar nicht vorhanden (zur Erinne- rung: Das erste iPad kam 2010 auf den Markt), und auch die Kunden waren damals mehrheitlich nur Kunden und längst noch keine User. Das ist heute anders. 20 Jahre Internet haben bewirkt, dass es kaum mehr einen Lebensbereich gibt, der davon ausgespart bleibt, und da- her wäre es eigentlich merkwürdig, wenn das Thema Finanzen auch weiterhin offline stattfinden würde. Trotzdem waren die treibenden Kräfte hier nicht Banken und Versicherer, sondern junge Unterneh- men, die mit (Teil-)Lösungen in die Finanzsparte einzudringen ver- suchen und dabei manchmal auch ganz neue Märkte aufbereiten. So war etwa die Kreditvergabe direkt von Anleger zu Kreditnehmer ohne die heutigen Technologien schlichtweg nicht möglich, nun entsteht hier ein Segment, das auf Intermediäre weitgehend verzichten kann. Nach diesem Muster könnten grundsätzlich übrigens auch Versiche- rungen substituiert werden. Warum sollten nicht Privatanleger Risiken übernehmen und die dafür fälligen Risikoprämien kassieren? Der wertvollste Schutz der „alten“ Finanzdienstleister ist heute die Regulierung, die im Bank- und Versicherungsgeschäft so hohe Hürden errichtet hat, dass es für Neueinsteiger alles andere als einfach ist, hier Fuß zu fassen. Ihr größter Feind ist die Zinssituation. Bei Nullzinsen beginnt früher oder später jeder Sparer nach Alternativen Ausschau zu halten, und wenn dann online ein paar Basispunkte mehr winken, dürften viele der Versuchung erliegen. Schon heute gibt es mit „Weltsparen“ einen Anbieter, der jedem europäischen Sparer Zugang zu den höchsten derzeit verfügbaren Tagesgeldsätzen bietet – selbstverständlich abgesichert durch die Einlagensicherung von 100.000 Euro. Was bedeutet das nun für den Finanzvertrieb – kann er so weiter- machen wie bisher? Das Fundament der persönlichen Finanzberatung ist und bleibt die Beziehung zwischen dem Berater und seinen Kun- den, und daran wird sich auch auf längere Sicht nichts ändern. Das Thema ist so umfangreich und komplex, dass ein großer Teil der Be- völkerung auch in Zukunft nicht ohne Hilfe agieren wird. Das heißt aber nicht, dass man die neuen Technologien ignorieren sollte. Sie bieten auch im Beratungsbereich Möglichkeiten, die bislang nicht zur Verfügung standen und die Berater bei ihren Aufgaben unterstüt- zen können. Einmal, weil sie helfen, effizienter zu werden und dann auch, weil sie der Beratung eine neue Qualität verleihen können. Den- ken wir nur an den Vorstoß der beiden Fintechs Moneymeets und Figo, die es erstmals ermöglichen, die komplette Finanzsituation eines Kunden – also alle Bankverbindungen, Depots und Versicherungen – auf einer Plattform übersichtlich darzustellen. Ein solcher Service ist nur möglich, weil mehr als 3.000 Banken mit Figo verknüpft sind, vor wenigen Jahren war das noch undenkbar. In Österreich steht ein Unternehmen in den Startlöchern, das eine regelbasierte Vermögens- beratung für Fondspolizzen anbieten will. Berater sollen für diesen Zusatzservice von ihren Kunden ein paar Euro extra kassieren, und diese können dafür sicher sein, dass ihre Ertrags- und Risikovorgaben innerhalb der Policen tatsächlich eingehalten werden. Spektakulär ist daran, dass sich diese Leistung auch bei bereits laufenden Verträgen einsetzen lässt, was bedeutet, dass hier quasi aus dem Nichts ein Mil- liardenmarkt entsteht. Wir erleben derzeit also ohne Zweifel eine sehr spannende Phase, die zwar Umbrüche bringt, aber auch Chancen er- öffnet. Von vielen dieser neuen Ideen können Sie sich am FONDS professionell KONGRESS in Wien selbst ein Bild machen. Wir laden Sie heute schon ein, diese Möglichkeit zu nutzen, bis dahin wünschen wir Ihnen ein erfolgreiches Jahresendgeschäft. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Die Flut neuer Ideen für die Finanzindustrie, die von Fintechs ausgehen, bietet auch Beratern neue Möglichkeiten und Chancen. Es lohnt sich, am Ball zu bleiben. Neue Chancen tun sich auf Mamdouh El-Morsi, Gerhard Führing

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