FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2015
W ie FONDS professionell bereits in Ausgabe 2/2015 berichtete, ist der Ende 2012 ins Leben gerufene „Erste Hub“ die Antwort der Erste Group Bank AG auf den derzeit laufenden Trend in Richtung Fintechs. Diese Ideenwerkstatt soll der Bank helfen, im Wettlauf gegen inno- vative IT-Unternehmen nicht zurückzufallen. Im Umfeld des ausgegliederten Innovations- Hubs entwickeln Banker, Softwareentwickler, Designer und Wirtschafts- und Marke- tingexperten gemeinsam mit Externen aus der österreichischen Start-up-Szene Pro- totypen für neue Finanzdienstleistungs- und Banking-Lösungen. Und das erste marktfähige Ergebnis dieser Bemühungen gibt es bereits: Anfang 2015 wurde das neue Online-Banking-Angebot namens „George“ vorgestellt, und mittlerweile nutzen rund 400.000 Kunden dieses An- gebot. Völlig neu bei George: Die Kun- den können sich über einen speziellen Plug-in-Store ihre digitale Banking-Soft- ware den eigenen Ansprüchen und Wün- schen entsprechend erweitern. Im Inter- view erklärt Erste-Hub-Leiter Boris Marte, wie er die auf das Bankgeschäft zukommenden Veränderungen einschätzt und warum George auch von anderen in- und ausländischen Banken beobachtet wird. Herr Marte, mit dem Begriff Fintech hätten bis vor einem Jahr die meisten Leute nicht viel anfangen können, mitt- lerweile ist er hingegen in aller Munde. Wie haben Sie diese Entwicklung wahr- genommen? Boris Marte: Die Investitionen in Fintechs haben sich in den letzten zwei Jahren verdrei- facht, das sagt eigentlich schon alles. Es han- delt sich mit Sicherheit um einen Hype, und ein Drittel der Fintechs wird auch nicht über- leben. Einige dieser Unternehmen werden schließlich nur aufgebaut, um rasch wieder verkauft zu werden. Tatsächlich sind etliche Fintechs sogar schon wieder vom Markt ver- schwunden. Allerdings zeigt sich auch eine unglaubliche Breite an Kreativität und Lösun- gen, und es gibt sehr erfolgreiche Firmen. Da- bei zeichnen sich Fintechs allerdings immer noch dadurch aus, dass sie nur sehr spezifi- sche Anwendungen aus der Wertschöpfungs- kette einer klassischen Bank herausnehmen und dafür Lösungen anbieten. Bisher hat es daher auch noch kein Fintech-Unternehmen geschafft, das gesamte Produktportfolio einer Bank abzubilden. Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht für die Banken, oder? Diese Situation wird sich ändern, wenn das regulatorische Umfeld es möglich macht, dass Fintechs sich in die Datenbanken der Institute, natürlich mit Zustimmung des Kunden, ein- klinken können. In diesem Moment wird sich alles dramatisch verändern. Der Kunde würde dem Fintech zum Beispiel seine Verfüger- nummer und sein Passwort geben, damit kann das Unternehmen einfach die Kundendaten absaugen. Das ist ein realistisches Szenario. Was glauben Sie, wann wird es so weit sein, dass Fintechs so vorgehen können? Wenn die Richtlinie über Zahlungsdienste (PSD) 2 umgesetzt wird, also in zwei bis drei Jahren. Mit sofortueberweisung.com ist es bis zu einem gewissen Grad schon heute so. Dort wird diese Technik bereits seit Jahren geübt. Sie loggen sich als Kunde bei ihrer Bank ein, und sofortueberweisung.com holt sich von Ihrer Bank die Informationen, die gebraucht werden, um den Zahlungsvorgang abzuschlie- ßen. Es handelt sich allerdings auch dabei nur um einen Zahlungsdienstleister, der einen sehr spezifischen Bankbereich abdeckt. Könnten mehrere Fintechs gemeinsam mit ihren unterschiedlichen Dienstleis- tungen bereits eine Bank ersetzen? Es gibt dazu eine sehr interessante Dar- stellung mit dem Namen „Unbundling Wells Fargo“ (Anmerkung der Red.: siehe Seite 211). Dazu wurden alle Dienstleis- tungen, die die Bank anbietet, auf unter- schiedliche Fintechs übertragen. Alles, was eine klassische Bank derzeit leisten kann, ist bereits durch ein Fintech abbild- bar. Es zeigt sich also, dass traditionelle Banken zum ersten Mal in der Geschichte mit Konkurrenz konfrontiert sind, die für spezifische Angebote innerhalb ihrer Wertschöpfungskette das bessere Angebot hat. Für klassische Banken ist es also bereits fünf vor zwölf. Es müssen daher Wege gefunden werden, wie eine traditionelle Retailbank ins 21. Jahrhundert gelangt. Es wird hier eine völlig neue Welt gebaut, deren Geschwindigkeit wir nur mitmachen können, wenn wir es schaffen, einen Raum zu kreie- ren, der das Wissen außerhalb der Bank und das Wissen innerhalb in einen produktiven Zusammenhang bringt. Und das ist im Wesentlichen die Aufgabe des Erste Hub. Mit dem Hub hat man im deutsch- sprachigen Raum ein ziemliches Allein- stellungsmerkmal. Warum gibt es nicht mehr Banken, die einen ähnlichen Weg gehen? Wir merken an den Einladungen, die wir bekommen – ich bin jetzt fast jeden Monat einmal in Deutschland –, dass das Interesse cover I boris mar te | erste group 208 www.fondsprofessionell.at | 4/2015 Foto: © Günter Menzl Mag. Boris Marte , Leiter des Erste Hub , des Innovationslabors der Erste Bank für den Bereich des digitalen Bankings, erklärt im Interview, welche Veränderungen auf die Bankenlandschaft zukommen und warum das neue Online-Banking-Angebot des Instituts namens „George“ international für Aufsehen sorgt. „Für klassische Banken ist es » In den kommenden fünf Jahren wird es ganz einfach werden, die Bank zu wechseln. Der Regulator wird dem Konsumenten die Mög- lichkeit geben, seinen IBAN zu behalten. « Boris Marte, Erste Hub
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