FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2015
vertrieb & praxis I mar tin gilber t | aberdeen 190 www.fondsprofessionell.at | 4/2015 Foto: © Sarah Weal M artin Gilbert schreitet durch die Tür, das weiße Hemd an der Brust weit aufgerissen. Er zieht das Jackett aus, die Hemdsärmel sind weit hochgekrempelt. Es war ein anstrengender Tag für den Vorstandschef des britischen Fondsanbieters. In den Medien war spe- kuliert worden, dass Gilbert einen Käufer für die börsennotierte Gesellschaft sucht. Die Aktie machte einen Kurssprung. In- vestoren, Kunden und Journalisten sind in Aufruhr. Gilbert gibt sich aber gelassen. Dabei ringt das von ihm mitgegründete Haus mit Problemen. Herr Gilbert, Aberdeen ist im Asien- geschäft stark. In den drei Monaten zu Ende Juni hatten Sie Nettomittelabflüsse in Höhe von 9,9 Milliarden britischen Pfund – und da hatte der Kursverfall in China gerade erst begonnen. Martin Gilbert: Ja, wir haben hohe Mittelab- flüsse erlitten. Das ist aber Teil des Geschäfts. Schauen Sie, wir hatten in der Vergangenheit Zuflüsse in Rekordhöhe erzielt. Jetzt erleiden wir nun auch mal Abflüsse. Und wir haben noch Glück. Wir hatten China in unseren Fonds unter- und Indien übergewichtet. Aber eines hatten wir nicht erwartet: dass China, wenn es kippt, die ganze Region mit sich hin- abzieht. Die Stimmung der Investoren hat sich dramatisch gegen Asien und die Schwel- lenländer insgesamt gewendet. Das hat auch uns ziemlich hart erwischt. Wird Asien wieder wachsen? Ja. Langfristig wird dort das Wachstum am höchsten sein. Die Stimmung der Investo- ren scheint sich allmählich zu drehen. Sie wollen das Geschäft ausbauen? Unbedingt. China etwa ist ein riesiger Markt. Da wird sich noch viel tun. Ein gro- ßes Thema wird auch der Verkauf von in Hongkong zugelassenen Fonds in Festland- china werden. Wir haben jüngst in der Volksrepublik eine Tochtergesellschaft gründen können. Das ist ein großer strategi- scher Schritt. Der Internetkonzern Alibaba hat vorgemacht, wie man einen Fonds dort auf ein Milliardenvolumen anschwellen lassen kann, wenn man eine bekannte Marke hat. Wir selbst wollen uns mit einem dort heimi- schen Vertriebspartner zusammenschließen. Sofern man eine starke Marke hat … Die haben wir. Neben J.P. Morgan sind wir die Größten in Asien. Wir eröffneten 1992 in Hongkong das erste Büro. Dann gingen wir nach Singapur, wo noch kein anderer west- licher Spieler vertreten war. Nach Asien zu gehen war die bedeutendste Entscheidung je- mals für dieses Unternehmen. Das war wirk- lich eine gute Wahl und hat unser Ge- schäft nachhaltig geformt. Wo wollen Sie noch expandieren? Wir würden gern stärker in Indien vertre- ten sein. Das Problem dort ist nur die Be- steuerung, daher betreuen wir den Markt von Singapur aus. Aber im Moment haben wir auch nicht die Kapazitäten, dort mehr Geschäft aufzubauen. Warum? Wir haben Anfang 2014 die Übernahme des Fondshauses Scottish Widows Invest- ment Partnership abgeschlossen. Die In- tegration ist recht aufwendig und frisst Res- sourcen. Aber sie brachte uns den Bereich „Investment Solutions“, also „Investmentlö- sungen“, ein. Ich mag zwar das Wort „Lösun- gen“ nicht besonders. Aber auf einen besseren Namen bin ich bisher nicht gestoßen. Jeden- falls wollen wir diesen Bereich ausbauen. Denn Mischfonds, Dachfonds oder vermö- gensverwaltende Fonds und alternative Stra- tegien sind das am stärksten wachsende Feld. Im Asset Management ist die Rede von einer Übernahmewelle, die sich auf- türmt. Bislang ist wenig passiert. Nur Sie sind rege und haben neben Scottish Widows einige Boutiquen gekauft. Ja, Flag Capital etwa ist ein Private-Equi- ty-Dachfondsmanager, Arden ein Dach- hedgefondsmanager. Das passt gut in un- seren Bereich Investmentlösungen. Daher investieren wir hier weiter. Wir ziehen klei- nere Übernahmen größeren Akquisitionen vor. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn sich die Gelegenheit für eine große Über- nahme ergeben sollte und das Geschäft wirklich gut zu uns passt, würden wir es uns trotzdem anschauen. Aber derzeit wäre das schwierig. Wir haben Überkapazitäten bei Aktien. Das Übernahmeziel kann also keine große Aktienabteilung haben. Ein Zukauf im Bereich Mischfonds oder alter- native Strategien wäre hingegen denkbar. Der Crash in Asien hat den Fondsanbieter Aberdeen hart getroffen. Vorstandschef Martin Gilbert richtet das Haus neu aus und will es für die Digitalisierung wappnen. Im Interview spricht er über die Gefahren des Online-Vertriebs, wirbt für eine größere Offenheit bei Gebühren und warnt vor einer Immobilienblase. „Berater müssen sich vor der » Ich werde dafür be- zahlt, dass ich Paranoia habe – Paranoia über all die Gefahren, die unser Geschäft bedrohen könnten. « Martin Gilbert, Aberdeen Durch Zukäufe gewachsen Verwaltetes Vermögen von Aberdeen zum Geschäfts- jahresende in Milliarden britischen Pfund Die Übernahme von Scottish Widows brachte frisches Kunden- geld. * per Ende Juni, Geschäftsjahr per Ende September | Quelle: Aberdeen 0 Mrd. £ 50 100 150 200 250 300 2015* 2014 2013 2012 2011 2010 307 Mrd. £ 324 Mrd. £ 200 Mrd. £ 187 Mrd. £ 170 Mrd. £ 179 Mrd. £ 2 6 %
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