FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015

87 www.fondsprofessionell.at | 1/2015 großer Teil der betrieblichen und privaten Vorsorge dieser Menschen steckt in euro- päischen Staatsanleihen. Die Gefahr, dass dies passiert, ist leider nicht zu unterschätzen, denn führende Fachleute wie etwa der frühere EZB-Chefvolks- wirt Jürgen Stark oder Deutschlands ein- flussreichster Ökonom Hans-Werner Sinn sehen bislang keine Anzeichen dafür, dass der benötigte Reformprozess stattfindet. Sinn befürchtet sogar, dass es die aktuelle Politik der EZB ist, die einen echten „Heilungsprozess“ verhin- dert (siehe Interview Seite 80). Stark befürchtet, so wie andere Fach- leute auch, dass die Erfolge des Quanti- tative Easings, das in USA funktioniert hat, nicht auf Europa übertragbar sind, weil hier weder der Konsum noch die Kreditvergabe an Unternehmen direkt von der Kapital- und Aktienmarktsituation abhängen. Auch die Sorge, dass all das Geld, das die Notenbank ins System pumpt, eines Tages doch noch inflationswirksam wird, wurde wiederholt geäußert. Befürchtet wird hier der Ketchup- flascheneffekt – das bekannte Phänomen, dass aus einer solchen Flasche erst trotz heftiger Schläge nichts kommt und anschließend der halbe Flascheninhalt in einem Schwall auf dem Teller landet. Es kann funktionieren Obwohl es also gute Argumente für Skepsis und pessimistische Prognosen gibt, muss man doch auch die Chancen für einen Turnaround sehen. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass Draghis Rechnung aufgeht. Sieht man von Griechenland ab, für das nach Ansicht aller ernstzunehmenden Beobachter nur ein Euro- Austritt den nötigen (Abwertungs-) Spielraum schaffen würde, um seine Wettbewerbsfä- higkeit zu stabilisieren, gibt es auch auch positive Nachrichten. So kündigte etwa Portugal, das beträchtliche Anstren- gungen unternommen hat, um die nötigen Reformen umzusetzen, jüngst an, IWF-Kredite, die man zwischen 2011 und 2014 erhalten habe, frühzeitig zurückzahlen zu wollen. Auch bei der Arbeitslo- senrate Spaniens wurde Ende 2014 der stärkste Rückgang seit 1998 verzeichnet. Mit 23,7 Prozent war sie zum Jahresende 2014 zwar noch erschreckend hoch, der Trend ist aber positiv. Die EZB selbst sieht sich selbst übrigens durchaus auf Erfolgskurs, ist aber mit dem Tempo der Fortschritte nicht zufrie- den. In einer Rede, die Draghi Anfang März in Zypern gehalten hat, antwortete er auf die Publikumsfrage, ob das Quantitative Easing nicht etwa doch nur den Börsen helfe, dass die Unterstellung, die positive Entwicklung an den Kapitalmärkten werde niemals auf die Realwirtschaft durchschlagen, falsch sei. Konkret beobachtet die EZB, dass die Zins- konvergenz, die auf der Finanzierungsseite der Banken stattfindet, langsam, aber sicher auch auf Seiten ihrer Ausleihungen zu beob- achten sei. Draghi: „Tatsächlich beobachten wir einen sich beschleunigenden Trend fallen- der Kreditzinsen in der Eurozone sowie eine signifikanten Abnahme der Zinsunterschiede bei den Ausleihungen.“ Bestätigt wird seine Aussage von der jüngsten Kreditvergabeum- frage der EZB bei Europas Banken („Euro Area Bank Lending Survey“). Vor allem in Italien, aber auch in Frank- reich nimmt die Bereitschaft der Banken, Unternehmen Kredit zu geben, zu. In Deutschland und Spanien war sie im vierten Quartal unverändert, nur in den Niederlanden nahm sie ab. Für die gesamte Eurozone war der Trend Ende 2014 aber positiv – die Zahl der Banken, die ihre Kreditvergabe- richtlinien gegenüber Unternehmen ver- schärft haben, sank verglichen mit dem Vorquartal um fünf Prozent. Ähnlich positiv präsentiert sich die Statistik bei Haus- und Hypothekarkrediten. Frank- reichs und Italiens Banken vergaben in der zweiten Jahreshälfe deutlich bereit- williger Kredite, und dies traf auch auf eine steigende Nachfrage. Und selbst bei Konsumkrediten zeichnen die im Januar publizierten Umfrageergebnisse, in die die Angaben von 137 Banken eingeflos- sen sind, ein deutlich freundlicheres Bild. Vergleicht man die Daten mit den Er- gebnissen von Anfang 2014, zeigt sich, dass damals noch viele Banken davon ausgingen, dass sie die Kreditbedingungen für Unter- nehmen – aus regulatorischen Gründen – ver- schärfen müssten. Draghi erklärte in Zypern, dass auch die jüngsten BIP-Zahlen der Eurozone mit einem Plus von 0,3 Prozent für das vierte Quartal 2014 über den – offensichtlich bescheidenen – Erwartungen lagen. Und auch die Daten für den Februar zeigen demnach weitere Ver- besserungen. Draghi: „Wir gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Erholung ver- breitern und an Stärke gewinnen wird.“ Die jüngste Bestätigung für diese Einschätzung sind Berichte über den stärksten Real- lohnanstieg in Deutschland seit Jahren. Mit einem gesamtwirtschaftlichen Lohnplus zwi- schen drei und 3,5 Prozent ist zumindest in Deutschland bis auf Weiteres keine Rede mehr von Deflation. Dass uns das Thema Eurokrise – selbst bei optimalem Verlauf – noch sehr lange Zeit be- schäftigen wird, lassen aber auch die jüngsten EZB-Schätzungen für das Konjunkturtief in der Eurozone vermuten. Die Notenbanker ha- ben im März ihre Schätzungen für das Wirt- schaftswachtum in der Währungs- union angehoben. Das reale BIP soll laut EZB-Prognose im lau- fenden Jahr um 1,5 Prozent, 2016 um 1,9 Prozent und 2017 um 2,1 Prozent wachsen. Zieht man da- von aber die aktuelle Verzinsung von langlaufenden Staatsanleihen ab – derzeit zwischen einem halben und einem Prozent –, soll- te sich die Schuldenlast doch langsam verringern. Man kann das Glas also auch als halb voll bezeichnen. GERHARD FÜHRING | FP Historische Beispiele für Beautiful Deleveraging USA GB USA 1933–1937 1947–1969 2009+ BIP-Wachstum (nominal) 9,2 % 6,8 % 3,5 % Inflation (BIP Deflator) 2,0 % 3,9 % 1,4 % BIP-Wachstum (real) 7,2 % 2,9 % 2,0 % Rendite Staatsanleihen (Durchschnitt) 2,9 % 5,2 % 3,2 % BIP-Wachstum – Rendite Staatsanleihen 6,3 % 1,6 % 0,3 % Gesamtschulden in % des BIP am Start 252 % 395 % 369 % Gesamtschulden in % des BIP am Ende 168 % 146 % 334 % Annualisierter Schuldenabbau in % BIP -17 % -11 % -13 % Quelle: Bridgewater Associates Für Ray Dalio war die Politik der Fed ab 2009 ein Beispiel für einen gelungenen und damit „schönen“ Schuldenabbau. Wachstumsrate Geldmenge M3 pro Jahr Die Grafik zeigt das annualisierte Wachstum der Geldmenge M3 in der Eurozone seit 1981. Der Absturz zwischen den Jahren 2007 und 2010 erklärt die Deflationssorgen der EZB. 1985 1990 0 % 1995 2000 2005 2010 2015 2 % 4 % 6 % 8 % 10 % 12 % n Annualisiertes Wachstum der Geldmenge M3 der Eurozone

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