FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015

85 www.fondsprofessionell.at | 1/2015 Das Deflationsproblem In ihrer extremsten Ausprägung führt eine erdrutschartige Entschuldung zu einer Depres- sion. Wie das schlimmstenfalls abläuft, zeigte sich das letzte Mal in den 1930er-Jahren. Da- mals mündete das Deleveraging aufgrund anfänglich falscher Gegenmaßnahmen in eine Weltwirtschaftskrise, die letztlich sogar den Zweiten Weltkrieg mitverursachte. Der mas- sive, unkontrollierte Schuldenabbau führt auch zu dem zuletzt heftig diskutierten und vielfach missverstandenen Phänomen der Deflation. Die Preise fallen nicht (nur), wie vielfach irreführend dargestellt, weil Konsumenten lieber darauf warten, dass die Güter zu einem späteren Zeitpunkt billiger werden, sondern weil sie sich diese Güter schlichtweg nicht leisten können – entweder weil sie arbeitslos sind oder um ihre Jobs bangen oder weil sie von den Banken keinen Kredit bekommen. Das wiederum ändert die Inflationserwartung. Geht ein Unternehmer davon aus, dass die Preise sinken werden, wird er weder Leute anstellen noch irgendwelche Investitionen tätigen. In Dalios Modell besteht die Wirtschaft – vereinfacht dargestellt – aus einem Angebot an Waren und Leistungen und einer diesem Angebot gegenüberstehenden Geld- und Kreditmenge, wobei die Kreditmenge um ein Vielfaches größer ist als die Geldmenge. Muss das Kreditvolumen wegen Überschul- dung insgesamt verringert werden, weil Regierungen, Unternehmen und Privathaus- halte ihre Außenstände gleichzeitig abbauen, verringert sich die Geld/Kredit-Menge und damit die Gesamtkaufkraft im System. Dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgend müssen Waren und Dienstleistungen nun billiger werden. Ein Unternehmen wird – so- bald es unter Druck steht – seine Güter lieber billiger als gar nicht verkaufen. Es wird aber auch versuchen, den Verdienstentgang durch Kosteneinsparungen – meist Entlassungen – zu kompensieren. Und damit setzt sich eine Deflationsspirale in Gang, die schwer zu stoppen ist. Hätten die Notenbanken 2008 nicht aggressiv gegengesteuert, wären wir mit großer Wahrscheinlichkeit in eine schwere Depression geraten, in Teilen Südeuropas ist das ja auch trotz der Maßnahmen passiert. Schulden müssen runter Um aus dieser Misere herauszukommen, müssen die Schulden zwar runter, das muss aber kontrolliert ablaufen. Passiert es schock- artig (Staats-, Banken- und Unternehmens- bankrotte beziehungsweise Haircuts), sind die sozialen und politischen Folgen nicht abseh- bar. Daher wird keine Regierung und keine Notenbank der Welt eine solche Entwicklung sehenden Auges eskalieren lassen. Und tatsächlich gibt es – zumindest in der Theorie – einen Weg aus der Misere: Ray Dalio nannte ihn in seiner 2012 publizierten Analyse zum dem Thema „Beautiful Deleve- raging“ („Schöner Schuldenabbau“): Um die beschriebenen negativen Folgen der schrump- fenden Geld- und Kreditmenge zu mildern, wird dabei versucht, den Rückgang des Kre- ditvolumens durch das Drucken von Noten- bankgeld auszugleichen. Da hier die Summe aus Geld und Kredit – zumindest im Modell – ebenso groß bleibt wie die Waren- und Dienstleistungsmengen, verhindert das eine Deflation – und zwar ohne Inflation auszulö- sen, denn das „gedruckte“ Geld ersetzt nur den schrumpfenden Kredit. Parallel dazu muss ein Teil der Schulden abgeschrieben oder restrukturiert werden, etwa über längere Laufzeiten und Zinssenkungen. Weiters müs- sen die Staaten ihre Ausgaben einschränken und ihre Einnahmen erhöhen, indem sie Ver- mögen und Einkommen der reichen Teile der Bevölkerung höher besteuern. Dass dieses Vorhaben nur gelingt, wenn man die Stra- tegiebestandteile optimal kombiniert, liegt auf der Hand. Es kann auch keine Wunder be- wirken, die Maßnahmen mildern aber die Dramatik und führen im Idealfall etwas schmerzloser vom Schuldenberg herunter und aus der Konjunkturschwäche heraus. Und genau das ist es, was die EZB seit einigen Jahren tut beziehungsweise zu tun versucht. Mehrfrontenkrieg Dass das so schwierig und langwierig ist, liegt nicht zuletzt daran, dass hier erschwerte Rahmenbedingungen gegeben sind. Zur Erin- nerung: Der Super-GAU 2008 hätte so ausge- sehen: Aufgrund des Misstrauens der Banken untereinander wäre der internationale Zah- lungsverkehr zum Erliegen gekommen. Die Bürger hätten versucht, ihre Sparguthaben ab- zuheben und damit die Banken ruiniert, und damit wären mangels Liquidität auch auch viele Unternehmen in größte Schwierigkeiten geraten. All dies ist nicht passiert, denn im ersten Schritt wurde das Vertrauen in das Ban- kensystem wiederhergestellt, indem Regierun- gen erklärten, dass der Staat für alle Einlagen unbeschränkt haften werde. Im zweiten Schritt musste das Bankensystem stabilisiert werden, damit es seine Rolle als Intermediär zwischen Kapital und Unternehmern wieder einnehmen kann – trotz des notwendigen Deleveragings der Bankbilanzen. Mithilfe der Auslagerung fauler Kredite (Bad Banks) sowie der Ver- staatlichung und Teilverstaatlichung von Banken wurde der Zusammenbruch des Bankensystems verhindert. Im Anschluss wurde die Europäische Bankenunion unter einer gemeinsamen Aufsicht installiert. Aggressive Zinssenkungen Um die Refinanzierung überschuldeter Staaten und zu stark gehebelter Banken zu er- leichtern, wurden auch die Zinsen drastisch gesenkt. Dass dies zulasten der Sparer pas- sierte, war keine Absicht, sondern ein unver- meidbarer Kollateralschaden. Der deutsche Wirtschaftsforscher Clemens Fuest verweist in diesem Zusammenhang übrigens auch da- rauf, dass die Zinsen keineswegs nur wegen der Notenbankpolitik gesunken sind, sie sind primär deshalb so tief, weil die Kreditnach- frage deutlich zurückgegangen ist. Die tiefen Zinsen verschafften der Euro- peripherie die nötige Atempause nach dem Beinahezusammenbruch, um aber den Euro- raum nachhaltig sanieren zu können, musste auch das Vertrauen in die Währung innerhalb und außerhalb Europas stabilisiert werden. Die in diesem Zusammenhang bekannteste Maßnahme war Draghis im Sommer 2012 ge- gebenes Versprechen, alles dafür Notwendige zu tun. Viel wichtiger war aber die Einrich- tung der bekannten Rettungsfonds. Nachdem die Banken fürs Erste gerettet und besser reguliert sind und das Zerbrechen der Euro- zone erst einmal abgewendet werden konnte, wurde bislang das wichtigste Ziel noch nicht Ray Dalio, Bridgewater Associates: „Beautiful Deleveraging kann funktionieren.“

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