FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015

4 www.fondsprofessionell.at | 1/2015 brief der herausgeber D ie anhaltende Diskussion über Verbleib oder Nichtverbleib Griechenlands in der Eurozone nimmt langsam, aber sicher groteske Ausmaße an. Da wirft man dem griechischen Finanz- minister vor, er hätte Deutschland den Stinkefinger gezeigt, und muss sich anschließend damit beschäftigen, ob entsprechende Bilder mittels Photoshop produziert wurden oder doch echt sind – als ob uns die Antwort auf diese Frage einen Schritt weiterbrächte. Der ehemalige Bundesbank-Chef Karl-Otto Pöhl hat schon im Jahr 1992 in einem „Spiegel“-Interview erklärt, dass nur die Länder, die bereit und öko- nomisch dazu in der Lage sind, bei einer Währungsunion mitmachen sollten. Auf die Frage, ob Italien und Großbritannien seiner Meinung nach zu diesen Ländern gehörten, meinte er: Ich will kein Land aus- schließen. Aber es muss die Bereitschaft zur Teilnahme bestehen, und es müssen sehr strenge Eintrittskriterien erfüllt werden, wenn das System funktionieren soll. (…) Für die ärmeren Länder bringt eine solche Veranstaltung nämlich große Probleme. Der Beitritt zur Wäh- rungsunion kann für schwächere Länder zu einem Verlust an Wett- bewerbsfähigkeit und letzten Endes zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Pöhl, der 2010 verstarb, bewies mit dieser Prognose eine beein- druckende Weitsicht. Er war aber nicht der Einzige, der im Vorfeld der Währungsunion vor den möglichen Folgen gewarnt hatte. Die Währungsunion war in ihrer ursprünglichen rechtlichen Gestaltung und in der Auswahl ihrer Mitglieder schlicht und ergreifend ein Fehler. Der Wunsch nach einer europäischen Integration war zu sehr Vater des Gedanken, berechtigte Warnungen schlug man in den Wind, und die vom Maastrichter Vertrag geforderte fiskalische Disziplin wurde auch von Frankreich und Deutschland nicht eingehalten. All das ist aber heute Geschichte, es ist zwecklos, darüber zu strei- ten, ob dieses oder jenes Land über seine Verhältnisse gelebt hat und wer für wen welche Rechnung bezahlt. Die einzig vernünftige Vor- gangsweise wäre die Ausarbeitung eines nachhaltigen Sanierungs- plans für Europa sowie die Schaffung von Voraussetzungen für das benötigte Wirtschaftswachstum. Solche Lösungen gibt es übrigens, zumindest in Form von Vorschlägen. Der deutsche Sachverständi- genrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) hat bereits 2011 ein durchdachtes Konzept für einen europäischen Schuldentilgungspakt vorgelegt. Leider ist es sang- und klanglos in der Schublade verschwunden, weil die Regie- rung Merkel nichts davon hielt. Das wäre grundsätzlich in Ordnung gewesen, wenn sie einen alternativen Plan entwickelt hätte, das ist allerdings auch nicht passiert. Europas Politiker haben die Währungs- union zuerst unvernünftigerweise erzwungen, in weiterer Folge durch ihr Fehlverhalten ins Chaos geführt und sind bis heute weder in der Lage, plausible Sanierungskonzepte vorzulegen, noch schaffen sie es, die Reformen umzusetzen, die die Voraussetzung für eine Rück- kehr auf einen europäischen Wachstumspfad sind. Hätte nicht die Europäische Zentralbank das Ruder an sich gerissen, stünde Europa vermutlich übel da. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet meinte jüngst in einem Interview: Ohne all die Maßnahmen, die von der Euro- päischen Zentralbank ergriffen wurden, befänden wir uns heute vermutlich mitten in einer Depression. All das ist natürlich nicht die Alleinschuld der Politik, es ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung, die uns dahin gebracht hat, wo wir heute stehen, am Problem ändert das allerdings nichts. Warum erzählen wir Ihnen das? Nun, diese Situation des politi- schen und gesellschaftlichen Stillstands schafft auch die Rahmen- bedingungen für jeden Kapitalanleger. Es kann kein Zufall sein, dass der Großteil der Trends, mit denen heute Geld verdient wird, aus den USA kommt, acht der zehn größten Unternehmen im MSCI World Index sind amerikanisch. Man muss Smartphones, Onlinehandel und soziale Netzwerke nicht gut finden, fest steht, dass damit derzeit Mil- liarden verdient und Abertausende Arbeitsplätze geschaffen werden. Und all diese Dinge könnten auch aus Europa kommen, was jedoch nicht der Fall ist. Solange sich das nicht ändert, muss man befürchten, dass der Alte Kontinent als Investmentziel zweite Wahl bleibt, das gilt für Anleihen ebenso wie für Aktien. Da nahezu jeder Investor aber dazu tendiert, so heimatnah wie möglich anzulegen, ist es die Aufgabe guter Berater, auf die Situation Europas hinzuweisen und zu zeigen, dass man sein Geld nicht nur hier anlegen muss. Wir möchten uns an dieser Stelle auch in diesem Jahr wieder bei allen Teilnehmern am FONDS professionell KONGRESS bedanken. Ihr Interesse hat die Veranstaltung auch 2015 zu einem Erfolg gemacht. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Die kleingeistige Diskussion um Griechenlands Verbleib im Euro verstellt die Sicht auf viel größere Probleme Europas. Gefährlicher Stillstand Mamdouh El-Morsi, Gerhard Führing

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