FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015
Kein Platz für „Misselling“ Die Anforderungen für die Konzeption und den Vertrieb von Finanzprodukten zielen im Ergebnis darauf ab sicherzu- stellen, dass das richtige Finanzprodukt an den richtigen Kunden gelangt. Die Gefahr, dass der Kunde ein für ihn ungeeignetes Finanzprodukt empfohlen bekommt (Mis- selling), soll daher schon im Vorfeld mini- miert werden. Die hersteller- und vertriebsbezogenen Pflichten für Wertpapierdienstleister haben somit vorrangig präventiven Zweck und sollen einen erhöhten Anlegerschutz und die Vermeidung von Interessenkonflikten bereits „an der Quelle“ bewirken. Dieser neue Regulierungsansatz sorgt dafür, dass Verantwortlichkeiten nach dem Verursa- cherprinzip besser adressiert werden kön- nen. Für den Wertpapiervertrieb bedeutet das im Ergebnis eine grundlegende Über- arbeitung und Anpassung der Produktkonzep- tion sowie eine strengere und sorgfältige Aus- wahl der Produktpartner. Zusätzlich wird der Compliance-Funktion eine zentrale Bera- tungs- und Überwachungsaufgabe zugewie- sen, was eine rechtzeitige Ressourcenaus- weitung erforderlich machen kann. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Product Governance versagt oder nicht alle Risiken berücksichtigt, weshalb der euro- päische Gesetzgeber nicht nur bei der Pro- dukt- und Vertriebsregulierung ansetzt, son- dern auch eine Erhöhung des Anlegerschutzes durch neue Eingriffsbefugnisse der Aufsichts- behörden beabsichtigt. Die neuen Eingriffs- befugnisse bergen schwer fassbare Risiken für die Wertpapierdienstleister und sind mit kom- plexen Haftungsfragen für die Leitungsorgane verbunden. Produktverbote Bislang ist die Aufsicht über Wertpapierfir- men eine rein nationale Angelegenheit. Dies wird sich durch die neuen Rechtsakte ändern. Zwar bleibt im Grundsatz die nationale Auf- sichtsbehörde (FMA) dafür zuständig, doch ist eine Abstimmung mit der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) erfor- derlich. Mifid II begegnet gefährlichen Fi- nanzprodukten nicht nur durch die neu einzu- führenden Produktgenehmigungsverfahren, sondern auch durch Verbote und Beschrän- kungen. Der europäische Gesetzgeber weitet die Kompetenzen der Aufsichtsbehörden (FMA und ESMA) mit Eingriffsnormen aus, die es ihnen ermöglichen, die Werbung, den Vertrieb oder den Verkauf von Finanzpro- dukten sowie Finanztätigkeiten und Finanz- praktiken temporär zu beschränken oder zu verbieten. Den Aufsichtsbehörden wird es er- laubt, derartige Maßnahmen zu verhängen, wenn diese erheblichen Bedenken hinsichtlich des Anlegerschutzes oder einer Gefahr für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Inte- grität der Finanz- oder Warenmärkte oder für die Stabilität des Finanzsystems begegnen. Primär ist die FMA zuständig. Nur wenn die- se untätig geblieben ist oder die getroffenen Maßnahmen und bestehende Regelungen nicht wirken, darf die ESMA eingreifen. Produktrückrufe möglich Die Aufsichtsbehörden dürfen also eigen- initiativ neue Finanzprodukte analysieren, bevor und während sie innerhalb der EU ver- marktet, vertrieben oder verkauft werden. Dies kann sogar so weit führen, dass es zu „Produktrückrufen“ kommt, falls diese eine Gefahr für den Anlegerschutz bedeuten. Diese Regelungen zur Produktintervention ergänzen somit die Anforderungen an die Product Go- vernance im Interesse des Anlegerschutzes. Leitungsorgane betroffener Unternehmen müssen für die Einhaltung entsprechender Interventionsmaßnahmen sorgen. Dies bringt neue Pflichten und weitreichende Haftungs- risiken mit sich, denn die regulatorischen Verbote und Gebote der Aufsichtsbehörden wirken sich auf die Sorgfalts- und Verhal- tenspflichten der Leitungsorgane aus. Für Leitungsorgane von Wertpapierdienst- leistungsunternehmen als Adressaten der Interventionsmaßnahme stellt sich die Fra- ge, wie auf ein Verbot oder eine Beschrän- kung zu reagieren ist. Spricht die Auf- sichtsbehörde ein Produktverbot aus, so wird das betroffene Leitungsorgan diese Ansicht in der Regel nicht teilen, weil es das Produkt nach dem Produktgenehmi- gungsverfahren als geeignet für die Ziel- gruppe bewertet und genehmigt hat. Un- abhängig von den unterschiedlichen An- sichten zur Rechtmäßigkeit des Verbots und Beschwerdemöglichkeiten dagegen ist der Interventionsmaßnahme zu folgen und der Produktvertrieb einzustellen. Wird ein Finanzprodukt unter Verstoß gegen das Vertriebsverbot an Anleger verkauft, so kann dies vielseitige Haftungsansprüche nach sich ziehen. Anleger könnten versu- chen, den Vertrag anzufechten und Scha- denersatz wegen Verletzung von (vor)ver- traglichen Pflichten zu verlangen. Bei vorsätz- licher Zuwiderhandlung könnten auch Scha- denersatzansprüche wegen Betrugs oder sit- tenwidriger Schädigung zustehen. Mit den Regelungen über die Produktinter- vention steht den Aufsichtsbehörden künftig ein scharfes Schwert zur Abwehr von Gefah- ren für den Anlegerschutz, die Finanzmärkte und die Finanzstabilität im Rahmen der Wert- papieraufsicht zur Verfügung. Es ist daher auch aus diesem Grund mit besonderer Sorg- falt bei der Umsetzung der Mifid-II-Anforde- rungen an die Product Governance vorzu- gehen. Mifid II ist weit mehr als nur eine Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie. Die neuen Vorgaben werden den europäischen Finanzmarkt und insbesondere die Vertriebs- kultur im Wertpapiergeschäft wesentlich be- einflussen. Gewinner der Mifid-II-Umsetzung werden jene sein, die sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen und sich rechtzeitig auf die veränderten Rahmen- bedingungen einstellen. Gemäß dem Sprich- wort „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ können durch eine frühzeitige Auseinan- dersetzung mit den neuen Vorgaben viele Haftungsrisiken bereits im Vorfeld minimiert und Mifid II auch als Chance für neue Ge- schäftsfelder und Wettbewerbsvorteile gese- hen werden. Die Autoren dieses Artikels: Dr. Ernst Brandl ist Partner, Philipp Schagerl LL.M. (WU) ist Rechtsanwaltsanwärter in der auf Kapital- marktrecht spezialisierten Kanzlei Brandl & Talos. Die Kanzlei vertritt ausschließlich die Anbieter von Finanzdienstleistungen. FP Dr. Ernst Brandl von Brandl & Talos erklärt, warum bei der Konzeption von Finanzprodukten künftig Vorsicht geboten ist. 205 www.fondsprofessionell.at | 1/2015
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