FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015

204 www.fondsprofessionell.at | 1/2015 steuer & recht I beraterhaftung Foto: © Günter Menzl M an könnte meinen, sieben Jahre nach Ausbruch der Finanz- und Wirt- schaftskrise und nach tausenden Gerichtsverfahren in Österreich sollte es zu einem Ende der Klageflut kommen, aber dem ist nicht so. Ebbt die eine Welle ab, rollt die nächste schon an. Die Palette an vor Gericht strittigen Finanzprodukten unterschiedlichster Ausgestaltung reicht von Derivaten wie Swaps und Optionen über geschlossene Fonds bis zu strukturierten Finanzprodukten wie bei- spielsweise Zertifikate oder Aktienanleihen. In Form eines wahren Regulierungs-Tsuna- mis wurde von Europas Gesetzgebern eine kaum noch überschaubare Anzahl an Vor- schriften erlassen, die, statt die Transparenz zu erhöhen, bewirkt, dass die betroffenen Marktteilnehmer und insbesondere Wertpa- pierdienstleistungsunternehmen kaum mehr den Überblick wahren können. Bei schwer durchschaubaren Vorschriften mit Abkürzun- gen wie MAR, CRD, AIFMD oder PRIPs darf man schon bisher von einem Auflagen- „Dschungel“ imWertpapiergeschäft sprechen. Dem nicht genug, nähert man sich unauf- haltsam der Anwendbarkeit der „Mutter der Europäischen Finanzmarktordnung“, dem Legislativpaket Mifid II und Mifir. Die Überarbeitung der Finanzmarktricht- linie Mifid I ist das zentrale Reformprojekt der Finanzmarktregulierung in Europa und wohl seit Monaten bei allen im Wertpapier- geschäft tätigen Finanzmarktteilnehmern all- gegenwärtig. Die Umsetzung der umfassend überarbeiteten Mifid I in Form von Mifid II und Mifir wird eine Herausforderung für die gesamte Finanzdienstleistungsindustrie darstellen. Einer der Kernpunkte der Neuregulierung liegt auf dem Gebiet des Anlegerschutzes. Während in der Medienberichterstattung bis- her vor allem der künftigen Unterscheidung zwischen „abhängiger“ und „unabhängiger“ Anlageberatung und den damit verbundenen Folgen für Zuwendungen und Provisionen Aufmerksamkeit zuteil wurde, hat eine nicht weniger bedeutende Neuerung bisher nur am Rande Beachtung gefunden: Mit dem Schlag- wort „Product Governance“ werden künftig Hersteller von Finanzprodukten und die Ver- triebssteuerung stärker in die Verantwortung für die richtige Produktauswahl und -emp- fehlung genommen, was unter Umständen unangenehme haftungsrechtliche Konsequen- zen für Wertpapierdienstleister nach sich zie- hen kann. „Product Governance“ Bei dem durch Mifid II neu eingeführten Thema „Product Governance“ (Produkt- überwachung) handelt es sich um eine Pro- duktregulierung, bei der folgende Aspekte im Vordergrund stehen: Emittenten von Fi- nanzprodukten (Produkthersteller, -desi- gner, „Manufacturer“) sind verpflichtet, ein Produktgenehmigungsverfahren einzufüh- ren. Jedes einzelne Finanzprodukt hat die- ses Verfahren zu durchlaufen, bevor es an Endkunden vertrieben werden darf. Kon- kret hat der Manufacturer im Rahmen der Herstellung einen bestimmten Zielmarkt für Endkunden innerhalb der jeweiligen Kun- dengattung – Kleinanleger und professio- neller Anleger – für jedes Finanzprodukt festzulegen. Die Finanzprodukte und die dazugehörige Vertriebsstrategie müssen so ausgestaltet sein, dass sie den Bedürfnissen eines bestimmten Zielmarktes entsprechen. Dabei ist sicherzustellen, dass alle ein- schlägigen Risiken für diesen Zielmarkt bewertet werden. Mögliche Ereignisse mit Risikopotenzial und Einfluss auf die Renditeerwartungen sind beispielsweise die Insolvenz des Emittenten, Marktstörungen, Änderungen des Marktumfeldes oder auch das Überschreiten bestimmter Schwellen- werte. Jeder Produkthersteller muss seinem Ver- triebspartner (dem sogenannten Distributor) ein Informationspaket weitergeben, das In- formationen zum jeweiligen Finanzprodukt, zum Genehmigungsverfahren und zum Ziel- markt beinhaltet. Der Vertriebspartner muss Vorkehrungen treffen, damit er die Infor- mationen vom Hersteller tatsächlich erhält und die Merkmale des Zielmarktes versteht. Dabei ist er auch durch Schulungen des Emittenten zu unterstützen. Das Informa- tionspaket des Produktherstellers erspart dem Vertriebspartner jedoch nicht, die Geeignet- heits- und Angemessenheitsprüfung beim Vertrieb an den Endkunden vorzunehmen. Laufende Überwachung Product Governance ist keine einmalige Übung, vielmehr hat das Wertpapierdienst- leistungsunternehmen regelmäßig die von ihr angebotenen oder vertriebenen Finanzpro- dukte daraufhin zu überwachen, ob sie unter Berücksichtigung der laufenden Risikoent- wicklung mit dem Zielmarkt konform sind und die Vertriebsstrategie geeignet ist. Erfährt ein bestehendes Finanzprodukt eine wesent- liche Änderung durch ein verwirklichtes Risiko, ist der bestimmte Zielmarkt erneut festzulegen (Kompatibilitätstest), weiters sind angemessene Maßnahmen zu treffen. So müs- sen beispielsweise die Kunden darüber infor- miert und im Extremfall die Vertriebsstrategie angepasst werden. Als Ultima Ratio kommt sogar ein Verkaufsstopp des Finanzprodukts an eine bestimmte Zielgruppe in Frage, oder es ist eine Verkaufsempfehlung gegenüber den Kunden auszusprechen. Die laufende Überwachung und Kunden- information soll ein Umgehen der „Wohlver- haltensregeln“, den Aufklärungspflichten nach dem Wertpapieraufsichtsgesetz, verhindern. Da der Kunde zum Zeitpunkt des Geschäfts- abschlusses über den Zielmarkt und die Grün- de der Eignung des Produkts informiert wird, soll die ihm erteilte Auskunft nicht nach Ge- schäftsabschluss durch eine Produktänderung oder Änderung wesentlicher auf das Produkt einwirkender Risikofaktoren falsch und unzu- treffend sein. Die mit der Product Governance einhergehenden prozessualen und systemsei- tigen Anpassungen werden erheblichen Mehr- aufwand für Wertpapierdienstleistungsunter- nehmen verursachen. Beispielsweise muss überprüft werden, ob sich der Vertrieb von Produkten lohnt, deren Entwicklung beson- ders aufwendig und teuer ist. Denn einerseits wird sich bei derart (meist) komplexen Pro- dukten die Zielgruppe wesentlich verkleinern, was zu geringeren Erlösen als bisher führen kann, andererseits erfordern diese Produkte eine umfangreiche Überwachung durch stän- dige Risikoüberprüfung und -bewertung, was zusätzlich Kosten verursachen wird. Haftungsfalle Produktdesign Warum bei der Konzeption von Finanzprodukten künftig besonderes Augenmaß erforderlich ist.

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