FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2015
In Österreich glaubt ein Großteil der Menschen immer noch, dass der Staat ihnen im Ernstfall hilft, da ist man in Deutschland offensichtlich realistischer. Ja, wobei ich sagen muss, wenn ich mir einen Pensionskontoauszug ansehe, bin ich immer überrascht, da die gefühlte Wahrnehmung so aussieht, dass die Welt ja nicht so schlecht ist. Die Wahrheit wird hier aber nicht dargestellt, da erstens die Inflation nicht berücksichtigt und zweitens auch nicht mit einkalkuliert wird, dass es vielleicht Phasen gibt, in denen man nicht so viel oder vielleicht gar nichts verdient. Es ist kein kapitalgedecktes Verfahren, und wenn ich mir die demografische Entwicklung ansehe, dann wird hier eine Sicherheit darge- stellt, die es so einfach nicht gibt. Zudem be- steht das Risiko, dass man nun auf dem Weg zur Pension berufsunfähig wird, dann wird die Lücke sehr groß. Junge Leute geben teilweise bei uns bis zu zehn Euro im Monat aus, um ihr iPhone zu versichern; wenn es darum geht, ihre eigene Arbeitskraft zu versichern, sind ihnen die zehn Euro im Monat zu viel. Die Politik müsste meines Erachtens viel mehr Bewusstsein dafür schaffen. Sonst wer- den wir uns über Sozialfälle in 20 Jahren deutlich mehr Gedanken machen müssen, als wir dies heute tun. Wie lange hat es in Deutschland ge- dauert, bis sich die private BU durchge- setzt hat? Bei uns sind die Einschnitte des Gesetzgebers im Bereich der Berufsunfähigkeit im Jahr 2001 gekommen. Danach dauerte es ein paar Jahre, bis sich das Bewusstsein verfestigt hatte. Allerdings sieht man auch am Beispiel der Banken, dass das Thema immer noch vernachlässigt wird. Die Banken verlangen für die Kreditabsicherung eine Risikolebens- versicherung, dabei ist die Wahrscheinlich- keit, dass ein Mensch während seines Berufs- lebens stirbt, viel geringer, als dass er berufs- unfähig wird. Warum verlangen die Banken nicht den Abschluss einer BU? Die ersten Banken fangen gerade an, sich da- rüber Gedanken zu machen. In der Vergan- genheit, als das Zinsniveau noch höher war, bestand das Problem darin, dass die finan- zielle Belastung des Kreditnehmers zu hoch wurde. Und die Risikolebensversicherung ist nun mal günstiger als eine BU. Beim aktuell niedrigen Zinsniveau kann das allerdings kein Argument mehr sein. Die Herausforderung liegt nun in der Qualifikation des Beraters, denn der Beratungsaufwand ist bei einer BU deutlich größer. Zudem muss man sagen, dass viele Banken aufgrund der Eigenkapitalun- terlegungsvorschriften ja immer weniger Finanzierungsgeschäft zeichnen. In Österreich machen wir als Dialog sehr viel Geschäft mit Banken, und dort sehen wir, dass das Kredit- geschäft rückläufig ist. Wie wichtig ist der Bankvertrieb in Österreich? Im Verhältnis zu Deutschland sind die Ban- ken in Österreich für uns deutlich wichtiger. Der Maklermarkt spielt für uns in Öster- reich allerdings auch eine große Rolle. Im Vergleich zu Deutschland ist dieser hier- zulande ganz anders strukturiert. Während es in Deutschland eine Vormachtstellung von Pools gibt, ist das direkte Geschäft mit dem einzelnen Makler in Österreich weit- aus bedeutender. In Österreich läuft das Geschäft vor allem deshalb direkt über die einzelnen Makler, weil diese von den Versicherun- gen in der Regel bereits solche Topkon- ditionen bekommen, dass ein Pool zu- mindest im Bereich der Courtage keinen Vorteil bringt. Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoll? In Deutschland sind die Provisionen mit Sicherheit nicht so hoch wie in Österreich, es gibt aber auch noch andere Treiber, weshalb sich die Pools positionieren konnten. In Deutschland haben die Pools auch aufgrund der steigenden regulatorischen Anforderungen viel Zulauf bekommen. Wie stellt sich der Provisionswettbewerb in Österreich aus Ihrer Sicht dar? Im Bereich der Risikolebensversicherung gehen wir nicht über den Provisionswettbe- werb. Hier zahlen wir eine laufende Courtage und sind damit auch unter regulatorischen Gesichtspunkten auf der sicheren Seite. In Oliver Brüß, Dialog Versicherung: „Die Politik müsste meines Erachtens viel mehr Bewusstsein dafür schaffen. Sonst werden wir uns über Sozialfälle in 20 Jahren deutlich mehr Gedanken machen müssen, als wir dies heute tun.“ Foto: © Günter Menzl fonds & versicherung I oliver brüß | dialog 134 www.fondsprofessionell.at | 1/2015 Oliver Brüß Oliver Brüß (48) ist seit Ende 2014 Sprecher des Vor- stands der Dialog Lebensversicherungs-AG und für die Bereiche Vertrieb, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit ver- antwortlich. Nach Stationen bei der Colonia Nordstern und BHW trat Brüß 2005 in die Generali Deutschland Gruppe ein, wo er die Leitung des Maklervertriebs Leben & Komposit bei der Volksfürsorge übernahm. 2008 wurde er zum Vorstandssprecher der Advocard Rechtsschutz- versicherung bestellt, 2010 zum Vorstand für Vertrieb und Marketing bei der Central Krankenversicherung und Envivas Krankenversicherung. Nach externen Tätigkeiten kehrte Brüß 2013 zur Generali Deutschland Gruppe zurück und wurde zum Vorstandssprecher der Volks- fürsorge berufen, deren strategische Neuausrichtung er erfolgreich begleitete.
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